schröder & kirchentag
: Der Zeitgeist bleibt rot-grün

Bundeskanzler Gerhard Schröder ist auf dem Kirchentag nicht ausgepfiffen worden. Aber ist das schon bemerkenswert? Tatsächlich hat der Kanzler, dessen Tage von der Zeit bis zur Welt als gezählt wahrgenommen werden, auf dem Christenwoodstock in Berlin sogar Beifall erhalten – selbst für banale Aussagen zum Klimaschutz, zur Dritten-Welt-Entschuldung sowie zu Krieg und Frieden. Vielmehr zeigte sich auf dem Kirchentag, dass Schröder und die Seinen immer noch als Regierung gemocht werden – und zwar viel stärker, als ein Wechsel zu Koch, Merkel oder eine Teilhabe der Westerwelles an der Macht je eine Vision sein könnte.

Kommentarvon JAN FEDDERSEN

Das ist zwar kein Wunder, denn Kirchentage der vergangenen zwei Jahrzehnte waren immer politisch grundiert durch eine irgendwie rot-grüne Idee. Soziales, Menschliches und Ökologisches mögen zusammengehen, so lässt sich das Murmeln dieses Milieus zusammenzufassen.

Aber schon seit den schrillen Protesten einiger Gewerkschaften gegen die Agenda 2010 Anfang Mai – die weithin als übertrieben ständisch interpretiert worden waren – scheint Schröder wieder in den Umfragen zu klettern. Und der beste Seismograf für diese Renaissance des rot-grünen Projekts war und ist der Kirchentag, weil er schichten- und generationenübergreifend funktioniert: Einwände fundamentalerer Natur gegen die Agenda 2010 fehlen.

Vielmehr scheint sich beim christlichen – Schröder würde sagen: vernünftigen – Publikum die Einsicht durchzusetzen, dass jede andere Regierung als die jetzige ganz andere Reformen exekutieren würde – ohne auch nur gering auf die Bsirskes und Peters einzugehen. Vielleicht fällt das demnächst auch den Gewerkschaften auf.

Und weil Schröder weiß, dass, so gesehen, die Bundestagswahlen 2006 noch längst nicht verloren sind, interpretiert das Publikum einen Grünenfresser wie Peer Steinbrück auch als einen Mann von gestern: Der Hass auf die Grünen, vor 20 Jahren Sozialdemokraten noch ganz selbstverständlich, hat sich allenthalben verflüchtigt.

Schröder ist inzwischen auf die Grünen angewiesen – und zwar vor allem spirituell: Ohne die Ökos wäre eine Kanzlerschaft der Sozialdemokraten nichts, was echte Visionen, geschweige denn vernünftige Realpolitik, einer besseren Welt möglich macht. Steinbrück ist unsensibel und letztlich unpolitisch: Wie man Stimmungen spürt und aufnimmt, das könnte er beim Kanzler lernen.