: Auslaufmodell oder Marke
Ein halbes Jahr bevor die Popkomm erstmals in Berlin stattfindet, sind in der Branche die Meinungen über Zukunft und Sinn der Messe geteilt. Die Veranstalter setzen auf Business-orientiertes Konzept
Die Popkomm ist die Messe der Musikindustrie. Ein Satz, so einfach und klar wie ein 4/4-Takt. Doch kaum wird der Satz remixt, nimmt er schnell die Komplexität eines Neptunes-Beat an. Ist die Popkomm nur mehr eine Messe unter vielen? War die Popkomm jemals eine Messe? Wird die Popkomm demnächst überhaupt noch sein?
Ende September soll die Popkomm erstmals in Berlin stattfinden. „Für die Popkomm scheint sich niemand zu interessieren“, sagt Dietrich Eggert von der Plattenfirma V2. „Gerade jetzt in dieser schwierigen Phase ist die Popkomm wichtiger als zuvor“, sagt Katja Bittner von der Messe Berlin. Damit vertreten der Geschäftsführer eines mittelständischen Tonträgerunternehmens und die zuständige Projektleiterin bei der Messegesellschaft die beiden Pole des momentan in der Branche herrschenden Meinungsspektrums.
Es gibt Unkenrufer, die nicht zitiert werden wollen und voraussagen, die erste Popkomm in Berlin werde auch die letzte sein. Die Wege in der Hauptstadt seien zu weit, zudem gibt es zunehmend Nischenveranstaltungen wie die vergangene Woche vorgestellte c/o pop, die zwar keine Messe sein will, aber sich am alten Popkomm-Standort Köln zum alten Popkomm-Termin im August platziert. Außerdem sei die Popkomm nur noch überflüssiger Luxus für ein Gewerbe in der Krise. Niemals würde das Ergebnis der letzten Veranstaltung in Köln, als nur noch 618 Aussteller kamen, übertroffen werden.
Genau dies aber hat Messe-Chef Christian Göke Ende letzten Jahres versprochen, als er alles andere als eine Verbesserung dieses Ergebnisses als „inakzeptabel“ bezeichnete. Kurz nach Gökes Ankündigung verkündete Thomas M. Stein, damals noch Deutschland-Chef von der Majorfirma BMG, seine Firma werde auf keinen Fall einen Stand buchen. Man kann sich die Erleichterung in Berlin vorstellen, als Stein vor einigen Wochen gegangen wurde. Nun denkt man bei der BMG wieder über eine Teilnahme nach.
Vielen der mittleren bis kleinen Vertretern der Branche ist die Popkomm ziemlich gleichgültig. Firmen wie Mute, Labels oder V2 waren schon in den vergangenen Jahren in Köln zwar mit Bands und Mitarbeitern, aber nicht mit Ständen vertreten. Immer mehr Firmen sind zudem in Berlin ansässig. Warum sollten sie ihr Büro für drei Tage auf das Messegelände verlegen? Ein weit verbreiteter Vorwurf ist zudem, dass die neuen Messemacher fachfremd seien. Richtig, sagt Bittner, „die Musikbranche ist nicht Messe-affin“. Dem Unwohlsein der hippen Musikmanager will man mit einem im „engen Kontakt mit der Branche entwickelten Konzept“ entgegenwirken.
Die Probleme gehen aber tiefer. „Die meisten Leute haben Angst, ob sie morgen noch einen Job haben“, sagt Eggert. Deswegen gebe es „andere Probleme als die Popkomm“. Gerade hier aber wollen die Messe-Organisation und ihr neues Konzept ansetzen: Die in den letzten Jahren zusehends zur Meet-and-Greet-Veranstaltung verkommene Popkomm soll endlich eine echte Messe werden, auf der neue Kontakte geknüpft und vor allem auch Geschäfte gemacht werden können. Dazu will man, so Bittner, „die Fokussierung vom Tonträgermarkt lösen“ und alle „Musik-affinen Branchen mit ins Boot holen“. Stände von Klingeltonverkäufern, Videospieleherstellern und Filmproduzenten sollen auf der Popkomm so selbstverständlich werden wie die von Plattenfirmen. Die Messe soll „Schnittpunkte finden“ zwischen den Geschäftszweigen und „Plattformen schaffen“.
„Wer Geschäfte machen will“, hält Eggert dagegen, „fährt immer noch zur Midem.“ Die fand zuletzt im Januar statt und meldete stolz einen Zuwachs von 4,4 Prozent. Peter James allerdings, Geschäftsführer des Vereins unabhängiger Tonträgerunternehmen (VUT), glaubt, eine neue Popkomm könne als kleinerer, preiswerterer Bruder ganz gut „ergänzend neben die Midem treten“. Für die Messe in Cannes müsse man „finanziell gut aufgestellt sein und einen großen Katalog haben“. Der VUT wird bei der Popkomm voraussichtlich wieder mit einem Gemeinschaftsstand aus ungefähr einem Dutzend Labels vertreten sein. Auch James hat festgestellt, dass in der Branche „Skepsis herrscht“, aber sagt, dass es „dieses Gerede, ob man hinsoll oder nicht, schon seit Jahren gibt“.
Die Popkomm mache Sinn, so James, wenn sie auf internationale Vernetzung setze. „Wesentlich internationaler aufstellen“, heißt das bei Bittner, und stolz vermeldet sie, dass Estland erstmals vertreten sein wird und Brasilien zum ersten Mal einen eigenen Länderstand gebucht hat. Tatsächlich hat Carol von Rautenkranz, Gründer der Indie-Firma L’Age d’Or, bei einem Besuch in London unlängst gesteigertes Interesse an der Popkomm feststellen dürfen, weil diese nun in Berlin stattfindet. Im Ausland ist, die Kölner werden das nicht gerne hören, Berlin doch eher als Metropole bekannt. THOMAS WINKLER