piwik no script img

Archiv-Artikel

Fingerabdrücke werden salonfähig

Die Expertendiskussion über Biometrie – das zeigte gestern eine Anhörung des Bundestages – ist längst über den Stand der Sicherheitspakete hinausgaloppiert. Die weltweite Terrorangst erzeugt einen Zeitdruck, dem nationale Politik sich oft beugt

VON ULRIKE WINKELMANN

Als „überzogen“ hat die innenpolitische Sprecherin der Grünen Bundestagsfraktion, Silke Stokar, die Ankündigung der USA bezeichnet, auch von europäischen Touristen Fingerabdrücke zu nehmen und ein Foto zu machen. Allerdings ist Stokar dagegen, es den USA mit gleicher Münze heimzuzahlen und an den EU-Grenzen nun auch US-Bürger erkennungsdienstlich zu behandeln: Dies wäre „populistisch“ und würde außerdem „bedeuten, dass wir die amerikanischen Maßstäbe übernehmen“, sagte Stokar zur taz.

Am Freitag hatte der US-Heimatschutzminister Tom Ridge angekündigt, dass auch die Bürger von 27 USA-freundlichen oder sonstwie als ungefährlich eingestuften Staaten ab dem 30. September bei der Einreise ihre Finger auf eine Glasplatte legen und ihr Gesicht in eine Kamera halten sollen. Diese biometrische Erfassung betraf bislang nur Einreisende, die länger als 90 Tage bleiben wollten, sowie die Bewohner des Rests der Welt.

Die USA begründen die Maßnahme damit, dass bislang zu wenige Staaten ihre Ausweispapiere mit biometrischen Merkmalen ausgerüstet haben, wie es nach dem 11. September 2001 verlangt worden sei. Jedoch sind auch die USA selbst „weit davon entfernt“, ihre Bürger mit solchen Ausweisen auszustatten, sagte der IT-Experte des Bundesinnenministeriums, Martin Schallbruch, gestern auf einer Anhörung zum Thema Biometrie im Bundestag.

Deutlich wurde bei der Anhörung, dass die Diskussion um die Einführung biometrischer Merkmale seit dem 11. September unter stetig zunehmendem Zeitdruck steht. Im selben Maße schrumpfen die Entscheidungsspielräume der (nationalen) Politik. Denn erstens macht Biometrie in Papieren nur Sinn, wenn dies international koordiniert wird. Was nützt den US-Behörden eine digitalisierte deutsche Iris, wenn sie nur Fingerabdrücke lesen können? Zweitens ist die Biometrie-Debatte sehr technisch. Experten aus nicht demokratisch gewählten Gremien erörtern mit Vertretern der IT-Industrie die Möglichkeiten – Politiker sind selten beteiligt.

Auf diese Weise ist die Diskussion längst über den Stand der „Sicherheitspakete“, die der Bundestag nach dem 11. September 2001 verabschiedete, hinausgaloppiert. Damals war die Rede von einer einzigen Biometrie, die man sich nach sorgfältiger Prüfung aussuchen wollte. Die Grünen erwärmten sich besonders für die Iris-Erkennung, denn diese ist nicht als kriminalistische Spur verwendbar. Außerdem sollte die Erfassung biometrischer Merkmale ausschließlich dazu dienen, die Identität von Ausweis und Person abzugleichen – nicht jedoch dem Aufbau von Dateien, auf die die Behörden jederzeit Zugriff hätten.

Beide Bedingungen dürfen nun getrost als obsolet gelten. Fingerabdrücke sind längst salonfähig. Und die Fingerabdrücke und Fotos zum Beispiel, die USA-Touristen abgenommen werden, kommen in eine gigantische Datei. Damit wollen die US-Behörden irgendwann einen kompletten Überblick haben, wer sich gerade auf ihrem Boden aufhält. Für solche Möglichkeiten wird sich früher oder später auch die EU interessieren.

Zunächst einmal aber wollen sich die EU-Staaten bis Ende 2004 auf die technischen Standards zur Einführung von biometrischen Merkmalen einigen. In einem Zeitraum von zwei bis vier Jahren sollen EU-Visa mit einem Chip ausgerüstet werden, der ein digitalisiertes Lichtbild sowie Fingerabdrücke enthält. Und es macht nur Sinn, erklärte der Innenministeriumsexperte Schallbruch gestern, gleiche Standards dann auch für Ausweispapiere einzuführen – „sonst braucht man ja unterschiedliche Lesegeräte“.