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Archiv-Artikel

Transportradeln im Kollektiv

Vor fünf Jahren gründeten 80 Kuriere einen Verein, um selbstbestimmter Güter zu transportieren. „Inline“ wurde zum Erfolg, auch wenn die heute 150 Mitfahrer sich nicht immer einig sind. Die Konkurrenz hält das Modell für reine Demagogie

VON MARTIN KAUL

Ach, hörte sich das alles romantisch an, das mit dem Kurierkollektiv, das sich den Chef gespart hat und im früheren Haus des Neuen Deutschlands seine Funkzentrale gegen Ausbeutung und Fremdbestimmung ausrief. Das war 1999. Nach fünf Jahren auf sind die Expresslieferanten angekommen im engen Kreise der Marktführer. Ein jährliches Auftrags- und Umsatzwachstum um die 20 Prozent ist die Bilanz der Inline Kurier GmbH, die sich inzwischen an zweiter Stelle unter Berlins Kurierdiensten sieht. Und pünktlich zum Jubiläum richten sich die Kuriere auf 1.000 Quadratmetern ansehnlich in der Neuen Mälzerei in Friedrichshain ein. Dort erinnert alles eher an Big Business als an Wohngemeinschaft.

Sie wollten sich endlich von Preisdiktat und Ausbeutung emanzipieren. Und so gründeten vor fünf Jahren 80 Fahrrad-, Motorrad- und Autokuriere nach Hamburger Vorbild ihr eigenes Unternehmen. Das Prinzip ist einfach: Auf der jährlichen Vollversammlung des eigens gegründeten Fahrervereins legen die Kuriere die Geschäftsstrukturen für das folgende Jahr selbst fest: Gestattet es die Auftragslage – und nur dann –, werden neue Kuriere aufgenommen. So bestimmt jeder mit, wie der Kuchen verteilt wird. An herkömmlichen Geschäftsmodellen monieren die Kuriere: Die Unternehmen seien nur an möglichst vielen Fahrern interessiert, für die es allerdings nicht genügend Aufträge gebe. So würde die Bezahlung zur Zumutung. Überdurchschnittliche Tarife, ein transparentes Vergabesystem und feste Regeln liefere stattdessen ihr Geschäftsmodell. Zudem haben die Fahrer ein gewichtiges Wörtchen darüber mitzureden, wer in der Geschäftsleitung sitzt.

Unter harten Wettbewerbsbedingungen zählen statt des täglichen Plenums allerdings eher Tagespläne voll Effizienz, Schnelligkeit und Flexibilität. Und anstelle des Arbeiterkollektivs stehen bei Inline mittlerweile „150 selbstständige Unternehmer, von denen jeder unternehmerisch denkt“, wie Geschäftsleiter Michael Kaulisch sagt. Das Modell hat sich offenbar bewährt: Seit dem Start hat sich die Zahl der Kuriere nahezu verdoppelt, 25 Mitarbeiter beschäftigt das Unternehmen in der Zentrale.

Der Fahrerverein, in dem die Boten organisiert sind und zur Mitgliedschaft eine Einlage zu leisten haben, trägt ein Drittel der Inline Kurier GmbH. Weil das Geld allein aus den Einlagen der Kuriere zur Gründung nicht reiche, halten zwei Treuhandfonds je ein weiteres Drittel.

Grund genug für Dieter Hoppe, Pressesprecher beim Berliner Marktführer „GO“, dem jungen Wettbewerber „reine Demagogie“ vorzuwerfen, weil die Mitbestimmung ja doch nur begrenzt sei. Doch auch er muss eingestehen, das Auftreten des Konkurrenten „deutlich gemerkt“ zu haben. Ebenso wie Hendrik Tietze, Vertriebsleiter beim Kurierdienst „Messenger“. Der sieht sich aber von Inline bei den Löhnen nicht unter Druck gesetzt und verweist auf Fahrer, die mittlerweile wieder zurückgekehrt seien. Christian Papke ist so einer aus der Gründungszeit von Inline – und mittlerweile wieder bei der Konkurrenz. Er sagt: „Das Konzept liegt nicht mehr in der Hand der Fahrer.“

René Groß, Vorsitzender des Fahrervereins, formuliert das ganz anders: Kommunikation sei eben Hauptthema. Das gilt wohl erst recht, wenn aus einem Kollektiv ein großes Geschäft wird: Mittlerweile gibt es neben dem „Inline Kurier“ auch die Übernachtlagerung „Inline Overnight“ und das Speditionsunternehmen „Inline Logistik“. Da ist es nicht immer hilfreich, wenn von 150 Unternehmern jeder für sich wirtschaftlich denkt. Zu sehen in Hamburg: Dort wurde Mitbegründer Jan Rieck, der jetzt als Pressesprecher in Berlin ist, als Geschäftsführer fristlos entlassen. Üble Verunglimpfungen und Prozesse sind die Folge. Zumindest für Gesprächsstoff ist damit gesorgt. Fast so wie in der Wohngemeinschaft. Nur eben etwas unternehmerischer.