„Gelsenkirchen erleben!“

Gelsenkirchens Bürger Yves Eigenrauch verteidigt die Stadt gegen „Desaster“-Vorwürfe des Fußballers Ailton

YVES EIGENRAUCH, Exfußballprofi bei Schalke 04, antwortet der Schalker Neuverpflichtung Ailton. Der Bundesliga-Torschützenkönig hatte Gelsenkirchen als „Desaster“ bezeichnet, einen Unort, an dem „junge Leute keinen Spaß haben können“.

Vieles wird tradiert, so auch der Ruf des Ruhrgebiets im Allgemeinen und der Gelsenkirchens im Speziellen. Alles grau in grau, die Farbe grün unbekannt, nur qualmende Schlote, Trinkhallen und Schrebergärten in urbaner Umgebung? Weit gefehlt. Zunächst langsam, in den letzten Jahren immer schneller wandelte sich das Ruhrgebiet vom reinen Industrierevier zum Standort für neue Technologien, Dienstleistungen und Kultur. Eine Region, die sich nur mit den großen Ballungszentren in Ostasien oder an den Küsten Nordamerikas vergleichen lässt. Hier ist die Heimat von Millionen Menschen. Menschen, die Leidenschaft, Fantasie und Begeisterung zeigen. Die sagen, was sie denken. Und das in einer sehr direkten, aber gleichzeitig herzlichen Art. Ehrlich und natürlich.

Aber weiter: Vielleicht liegt das „Desaster“ an der eigenen Wahrnehmung? Besondere Qualitäten wollen entdeckt werden. Das aber geht nur, wenn wir in der Lage sind, zu sehen und Interesse zu zeigen. Sehen nicht im eigentlichen physischen Sinn, sondern vielmehr dahingehend, dass wir so offen und sensibel sein sollten, nicht nur in der Welt zu leben, sondern mit ihr. Warum gilt ein Plattenbau gemeinhin als hässlich, obwohl er sowohl architektonisch als auch ästhetisch ansprechend sein kann? Dürfen wir vermuten, weil er nicht den aktuellen Kriterien des „Schönseins“ standhalten kann? Durchgestylt, modern und bunt – das wird fast immer als schön bewertet! Exemplarisch: Der Gelsenkirchener Hauptbahnhof ist weiß Gott nicht schön, allzu häufig vegetiert er dreckig im Gelsenkirchener Zentrum vor sich hin. Doch auch hier gilt: Wir müssen die besonderen Qualitäten nur entdecken. Die Qualitäten können auch im Negativen liegen. So ist der Bahnhof derjenige, der uns aufrütteln kann. Bemängeln wir den Dreck – hier passt er nicht ins Bild –, vielleicht können wir es uns dann bei der nächsten Autofahrt verkneifen, das Papier aus dem Fenster zu werfen. Das, was uns eventuell als inakzeptabel erscheint (wohnen in Gelsenkirchen), kann aber schon toll sein – vielleicht auch nur, um für kurze Zeit neue Erfahrungen zu sammeln und neue Dinge zu erleben. Gelsenkirchen und das Ruhrgebiet sind es jedenfalls wert, erlebt zu werden. Alles andere liegt an jedem selbst. Und daran, eigenständig denken zu lernen – frei von Vorurteilen!