Aus Glas gebaut

Weltaneignung aus dem Geist des Panoramafensters: Der US-amerikanische Architekt Pierre Koenig ist tot

Es war der berühmte Julius Shulman, der dieses Foto machte. Man sieht zwei Frauen in einer Wohnzimmerecke beieinander sitzen. Beide tragen elegante, weiße Cocktailkleider und unterhalten sich offenbar gerade angeregt. Und dahinter, im bläulichen Schein der Dämmerung: ein Lichtermeer, so weit das Auge blickt, gegliedert in vertikale und horizontale Achsen – Los Angeles am Abend.

Dieses Bild ist in vielerlei Hinsicht atemberaubend. Doch vielleicht am spektakulärsten ist der Umstand, dass man darauf zwar die Wohnungseinrichtung bis ins Detail erkennen kann, Shulman das Foto seinerzeit aber nicht von innen, sondern von außen aufnahm. Das Haus, das im Jahr 1960 fertig gestellt wurde und unter dem Namen Stahl-House (oder auch: Case Study House No. 22) in die Architekturgeschichte einging, scheint fast vollständig aus Glas gebaut.

Pierre Koenig war ein Meister der Weltaneignung aus dem Geist des Panoramafensters. Die Bewohner seiner Häuser waren ihm das Wichtigste, doch gleich danach kam die Aussicht, die sich ihnen bot. Die Landschaft sollte sein wie ein Film im Breitwandformat – und es ist kein Wunder, dass die meisten seiner Entwürfe dort entstanden, wo man solche Bilder gewohnt war: in der Nähe von Hollywood. Dabei gab es für Koenig kaum ein Problem, für das sich nicht auch eine Lösung fand, und wenn der Bauplatz ungünstig lag, dann stellte er das Haus eben auf ein bewegliches Fundament und drehte das Ganze künstlich in die richtige Richtung.

Grundsätzlich aber war Koenig alles andere als ein Mann des Showbusiness. Zusammen mit Leuten wie Charles und Ray Eames und Craig Ellwood gehörte Koenig, 1925 in San Francisco geboren, zu den herausragenden Vertretern der sozial orientierten US-Moderne, deren vordringlichstes Ziel es war, auch Menschen mit wenig Geld zu einem eigenen Haus zu verhelfen. „Industrielle Fertigung“ lautete das Zauberwort, denn das hieß erschwingliches Bauen für alle.

Und so besaß auch das Stahl-House auf den Hügeln über Los Angeles ein Flachdach, ein Stahlgerüst als Korsett und weitere, für Koenig typische Merkmale. Jedes Element war einem intelligenten Funktionalismus verpflichtet. Da war selbst der obligate Pool mehr als nur ein Schwimmbecken, nämlich ein Teil der natürlichen Klimatisierung – ein Aspekt, der beispielsweise jemandem wie Mies van der Rohe bei seinem Aufsehen erregenden Farnsworth-House noch herzlich egal gewesen war.

Die Zusammenarbeit mit der Industrie bedeutete keineswegs, dass Koenig ihr unkritisch gegenüberstand, im Gegenteil. Immer wieder bemängelte er, wie wenig verbreitet dort das Gespür für Schönheit sei. Am Dienstag ist Pierre Koenig in Los Angeles an Leukämie gestorben. Er wurde 78 Jahre alt. ULRICH CLEWING