DIE FREILASSUNG MOTASSADEQS IST EINE LOGISCHE KONSEQUENZ : Der rechtsstaatliche Gang
Die Entscheidung des Hamburger Oberlandesgerichts war nicht überraschend. Dass der angebliche Terrorhelfer Mounir al-Motassadeq gestern aus der Haft entlassen wurde, ist nur logisch, nachdem der Bundesgerichtshof (BGH) Anfang März die Hürden für eine Verurteilung höher gelegt hat. Dennoch machten die Hamburger Richter deutlich, dass die Sache für den Marokkaner noch nicht gelaufen ist. Sie hoben den Haftbefehl nicht auf, sondern setzten ihn aus.
Große Empörung ist weder in den USA noch in Deutschland zu erwarten. Dazu wäre bisher schon genügend Gelegenheit gewesen. Beim BGH-Urteil vor einem Monat etwa, als die Verurteilung al-Motassadeqs aufgehoben wurde. Oder bei der Freilassung seines Landsmannes Abdelghani Mzoudi und dem späteren Freispruch. Doch die Kritik aus den USA war bislang eher zurückhaltend. Dort hat man im Moment andere Sorgen als deutsche Prozesse gegen Randfiguren des 11. September. Wenn die eigene Regierung angesichts der Terrorwarnungen wirklich geschlafen hat, ist das – gerade im Wahlkampf – interessanter als Gerichtsbeschlüsse in Europa. Auch in Deutschland fordert trotz der jüngsten Wendungen in den Hamburger Prozessen niemand ein „Feindstrafrecht“, das auch Verurteilungen ohne ausreichende Beweise erlaubt. Eher ist man stolz auf den Rechtsstaat, der wohl auch deshalb nicht unter Beschuss steht, weil sich Linke und Rechte hier gemeinsam gegen die USA positionieren können. Schließlich haben diese mit der weitgehenden Sperrung von islamistischen Zeugen das ganze Schlamassel um die Hamburger Prozesse erst ausgelöst. Und mit dem Modell Guantánamo – Haft ohne Anklage, Anwalt und Prozess – will sich erst recht niemand gemein machen.
Die deutsche Debatte hat auch ein bequemes Ventil gefunden: Statt über schärfere Strafen spricht man nun über schnellere Ausweisungen. Statt mehr Repression wird effizientere Gefahrenabwehr gefordert. So will der Hamburger Senat nun Abdelghani Mzoudi, nachdem er strafrechtlich freigesprochen wurde, als gefährlichen Ausländer einfach ausweisen. Ob das unter dem Strich rechtsstaatlicher ist, darüber kann man allerdings lange streiten. CHRISTIAN RATH