Freiheit für die Bücher!

Universitätsbibliotheken müssen auf Einsparungen und technische Entwicklungen wie die Digitalkopie reagieren. Ein Gespräch zur Lage der Wissensspeicher mit Dr. Ulrich Naumann, der seit 1991 die Universitätsbibliothek der Freien Universität Berlin leitet

INTERVIEW OLIVER VOSS

taz: Der Finanznotstand an den Unis steht zu Beginn des Sommersemesters erneut zur Debatte. Wie sehen die Bilanzen der Bibliotheken aus?

Ulrich Naumann: Wir haben natürlich weniger Geld, als wir brauchen. Das Präsidium räumt aber der Literaturversorgung einen hohen Stellenwert ein. Man wird also mehr bei den Personalkosten einsparen als bei den Sachmitteln. Viel ist da auch nicht zu holen. Wir haben etwa noch 4,2 Millionen Euro, vor zehn Jahren waren es 9 Millionen. Von 180.000 Neuanschaffungen sind wir inzwischen bei 80.000 angekommen.

Als Lichtblick gilt der Neubau der Philologischen Bibliothek von Norman Foster. Wie ist der Baustand? Und wie konnte man trotz leerer Kassen diesen Bauauftrag vergeben, während die TU-Bibliothek von VW mitfinanziert werden musste?

Wir gehen davon aus, dass wir die Bibliothek im Frühjahr 2005 den Nutzern übergeben können. Die Gesamtsanierung von Rost- und Silberlaube war nicht mehr zu vermeiden. Die Fassade ist durchgerostet, und dann gab es die Asbestproblematik. Dabei hat man sich entschlossen, in den Komplex eine neue Bibliothek mit einzubauen, da das auf lange Sicht erhebliche Kosten spart. Wir führen acht, neun Bibliotheken zusammen, dadurch werden entsprechende Räumlichkeiten frei. Auch in München oder Frankfurt am Main wurden übrigens die philologischen Bibliotheken zusammengelegt.

Schön, wenn die Zusammenlegungen zu Einsparungen führen. Aber wenn Doppelbestände an Büchern vermieden werden, bedeutet das nicht auch weniger Exemplare?

Bei den philologischen Fächern ist es nicht allzu problematisch, wenn es weniger Mehrfachexemplare gibt. Denn die Arbeit ist stark differenziert. Außerdem wird genau beobachtet, was notwendig ist an mehrfachen Beständen. Aber man wird davon ausgehen können, dass ein Brockhaus ausreicht. Auch bei den Neuerwerbungen wird die zukünftige Versorgung schon beachtet. Das führt bereits jetzt zu einer größeren Titelvielfalt, da unnötige Dubletten vermieden werden. Wir setzen dann natürlich auch stark auf den Einsatz von EDV und Datenbanken.

Für digitale Medien gilt seit September 2003 das neue Urheberrecht. Im Vorfeld gab es heftigen Streit zwischen Bibliotheken, Verlagen und Wissenschaftlern um die digitalen Kopien. Ist der jetzt beigelegt?

Bibliotheken kaufen in großem Umfang elektronische Dokumente, und der Streit ging letztlich darum, inwieweit wir diese verfügbar machen dürfen. Es gibt jetzt eine Vereinbarung. Über mehrere Jahre soll erprobt werden, ob die Verlage ihren Gewinn einfahren oder nicht. In der Papierform haben wir über Fernleihe Kopien verschickt. Bei den Netzen ist das aber weniger kontrollierbar. Nun gibt es Lizenzen, die besagen, dass zum Beispiel Zeitschriften in elektronischer Form nur an Rechnern genutzt werden können, die an unser System angeschlossen sind. Wir dürfen aber kein lizensiertes elektronisches Angebot kopieren und weiter verschicken, was mit Printausgaben problemlos ging. Damit verarmt die Leistungsfähigkeit der Bibliotheken, weil wir früher einen größeren Kreis von Nutzern bedienen konnten.

Es wird noch eine zweite Stufe des Urhebergesetzes entwickelt. Dabei geht es um digitale Rechte und deren Vergütung. Was erwarten Sie?

Wir setzen uns dafür ein, dass alle Nutzer weiterhin Zugriff auf benötigte Informationen haben und nicht nur derjenige, der das nötige Geld hat. Aber man muss höllisch aufpassen, die Verlage machen massive Lobbyarbeit, und je nachdem wie sie entsprechende Referenten oder Bundesminister auf einem Cocktailempfang beschwatzen, können die Regelung auch anders ausfallen. Wir halten mit unseren Lobbyisten dagegen.

Welche Entwicklungen sind sonst für die Bibliotheken und ihre Nutzer von Bedeutung?

Was wir nicht aufhalten können, ist der irrsinnige Konzentrationsprozess auf dem Publikationssektor. Wenn man sich die weltweit relevanten Verlage betrachtet, wo heute wissenschaftliche Zeitschriften publiziert werden, reduziert sich das fast auf die Finger einer Hand. Deswegen unterstützen wir so genannte Open Archives Initiativen, für ein Netz, in dem weltweit wissenschaftliche Informationen frei zugänglich sind. Wir zahlen ja auch bei den Publikationen unserer FU-Wissenschaftler doppelt. Einmal dafür, dass sie die schreiben, und dann kaufen wir das Geschriebene zurück. Die Initiative muss aber von den Wissenschaftlern ausgehen. Wenn sie ihr Publikationsverhalten nicht ändern, dürfen sie sich nicht über den Zustand der Bibliotheken beschweren.

Fürchten Sie, dass bei allen negativen Entwicklungen die klassische Bibliothek im digitalen Zeitalter an Bedeutung verliert oder überflüssig wird?

Jährlich erscheinen weltweit rund 1,3 Millionen Bücher. Davon wird nur ein Bruchteil elektronisch verfügbar sein. Und der Rest ist nicht nur intellektueller Schrott. Man wird die Bibliotheken also noch auf Jahrhunderte brauchen, um das publizierte kulturelle Erbe zu sammeln und zu bewahren. Man muss sie aber auch entsprechend ausstatten.