„Agenda 2010? Nichts davon mitbekommen“

Nicht nur der Kanzler hat Reformideen: Arbeitslose schlagen zum Beispiel eine Entschuldung für Deutschland vor

BERLIN taz ■ Kanzler Schröder hat Großes vor mit seinem Reformpaket namens Agenda 2010, die der SPD-Sonderparteitag am Sonntag beschlossen hat. Sie soll „verhindern, dass Menschen aus Arbeit und Gesellschaft ausgeschlossen werden“, und nicht zulassen, „dass sie dauerhaft von staatlicher Unterstützung abhängig sind“. Was sagen nun die Arbeitslosen zur Agenda, die angeblich von ihr profitieren sollen? Die taz hat sich vor dem Arbeitsamt Berlin-Mitte umgehört.

Karl-Siegfried Zillmann, 55, in der DDR Werkzeugmacher, seit der Wende arbeitslos: Überall wird gespart. Nur bei den Schulden nicht. Da frage ich mich, warum eigentlich nicht. Das Geld einfach nicht zurückzahlen, das wäre die Lösung. Ich habe das auch Gewerkschaftsfunktionären vorgeschlagen, bin aber auf Skepsis gestoßen. Je höher ich damit gehe, desto mehr Skepsis. Das Standardargument ist immer, dass es dann keine neuen Kredite geben würde. Dann sag ich immer, na, das wär doch super. Neue Kredite verschlimmern den Berg nur noch.

Martina Röllecke, 47, begleitet als Beraterin arbeitslose Frauen bei ihren Behördengängen: Man sollte die Subventionen alle kürzen. Wenn die Sozialhilfe oder Arbeitslosenhilfe sinkt, dann können die Unternehmen auch die Löhne noch weiter runterdrücken. Dass das passiert, merke ich jetzt schon. Von den Minijobs gibt es immer mehr. Für fünf Euro in der Stunde sollen die Leute eine Knochenarbeit annehmen – das ist eine Zumutung. Man will doch nicht immer nur rechnen müssen. Und wenn man eine Stelle hat, dann verliert man sie oft sofort wieder. Das bringt auch nichts. Da rate ich meinen Frauen schon: Passt auf, welche Jobs ihr annehmt.

Nina-Louisa Fischer, 19, ihre ABM läuft im nächsten Monat aus: Was soll denn der ganze Sozialabbau? Ende des Jahres werden es 50 Prozent Arbeitslose in Berlin sein, wenn ich sehe, wie viele ABM-Stellen schon ausgelaufen sind und wie viele noch auslaufen. Und wie es dann in 10 Jahren auf dem Arbeitsmarkt aussieht, daran will ich gar nicht denken. Der Schröder sagt immer, dass er zurücktreten will. Soll er es doch einfach machen.

Ramazan Dagidan, 44, gerade aus der Türkei zurückgekehrt und ohne Job: Agenda 2010? Was ist das? Ich hab davon nichts mitbekommen. Ich interessiere mich für Politik nicht so. Kann ja nicht wählen hier. Aber wenn ich mal was mitbekomme, dann sehe ich immer nur, dass es sich doch nicht verändert. Beim Zuwanderungsgesetz zum Beispiel fehlte am Ende auf einmal die Zustimmung. Deswegen würde ich auch zu dieser Agenda schon mal pauschal sagen, dass sie nicht verwirklicht wird.

Herwart Bahr, 64, Rentner, verteilt auf dem Arbeitsamt Flyer: Ich habe den schönsten Job, ich bin Rentner. Ich gehöre zu den Glücklichen, die es gerade noch geschafft haben. Agenda 2010? Einerseits denke ich: Sozialabbau durch die kalte Küche. Andererseits hängen ja auch viele am Staat wie noch bei Mutter am Schürzenzipfel. Vielleicht ist Zwang nicht schlecht. Man muss es mal ausprobieren.

Aufgezeichnet von Mareke Aden