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Archiv-Artikel

Wandertag per Gesetz verordnet

Tausende Kinder müssen umziehen, weil Kita-Hortplätze an die Schulen kommen sollen. So will das neue Schulgesetz Hort und Schule besser verzahnen. Viele städtische Kitas müssen ganz schließen

VON ANNA LEHMANN

Die Veränderungen in der Bildungslandschaft machen den Kleinsten Beine. Ab nächstem Jahr werden in allen zwölf Bezirken in großem Stil Kindergärten in öffentlicher Trägerschaft geschlossen. Voraussichtlich tausende Kinder müssen dann in eine andere Kita umziehen. Allein in Tempelhof-Schöneberg sollen zwölf Häuser geschlossen werden, wie aus einem Planungsentwurf des Bezirksamts vom März hervorgeht. In den anderen Bezirken arbeiten Arbeitsgruppen von Schul- und Jugendämtern an solchen Planungen.

Insgesamt bauen die Bezirke 22.750 Plätze in städtischen Kitas ab: Das entspricht der Zahl jener Kinder, die eine Hortbetreuuung haben. Diese Plätze wollen die Bezirke an und neben die Schulen verlegen. Hintergrund ist, dass viele Kitas derzeit sowohl Kindergarten- als auch Hortplätze anbieten. Mit der Verzahnung von Schule und Hort, wie sie das neue Schulgesetz vorsieht, sollen die Schulkinder über die letzte Stunde hinaus eine Betreuung im Lernumfeld erhalten. Für sie soll es Nachmittagsräume an den Schulen geben.

Das Problem: „Wir haben keine Räume an den Grundschulen“, stellt Neuköllns Jugendstadtrat Thomas Blesing (SPD) fest. Deshalb müssten sich Kitas, die dicht neben Schulen lägen, am ehesten darauf einstellen, zu Horten umfunktioniert zu werden. Das betreffe in Neukölln ein gutes halbes Dutzend Einrichtungen. Welche Kita-Kinder wohin umziehen müssten, stehe frühestens im Mai fest. In Neukölln gibt es etwa 3.500 Hortplätze in öffentlichen Kitas.

In Tempelhof-Schöneberg hat das Bezirksamt bereits eine Liste mit Schließungsvorschlägen an seine Kitas verschickt. Die Kita in der Rosenheimer Straße etwa soll an die Schule abgegeben werden, der Standort Grunewaldstraße aufgegeben und die Kita Prellerweg wegen hohen Sanierungsbedarfs geschlossen werden, heißt es in dem Schreiben. „In jeder Kita werden Freiräume entstehen, und es ist ja nicht Sinn und Zweck, dass Räume leer stehen“, sagt Jugendstadträtin Angelika Schöttler (SPD).

Noch seien die Vorschläge nicht bindend. Sofortige Folge für die Kitas auf der Liste ist jedoch, dass sie nicht aus öffentlicher in freie Trägerschaft gehen können, bis die Auswahl beendet ist. „Wir nehmen die Vorschläge sehr ernst“, sagt eine Erzieherin. Das Konzept soll ab 2005 bis 2008 Realität werden. Auch im Bezirk Mitte seien die wenigsten Einrichtungen reine Horte, erläutert Stadtrat Jens-Peter Heuer (PDS). Hier geht es um 2.500 zu räumende Plätze, deren Zukunft sich ebenfalls im Mai klären soll.

In Friedrichshain-Kreuzberg will der Jugendhilfeausschuss am 20. April über konkrete Vorschläge diskutieren. Hier werden zwischen 2.600 bis 3.600 Plätze an Schulen verlagert. Die genaue Zahl hänge davon ab, ob die freien Träger ihre abzugebenden Hortplätze mit Kindergartenplätzen kompensieren können, erläutert der verantwortliche Sachgebietsleiter Klaus-Harald Straub. Die Entscheidung über Schließungen werde wohl am ehesten von Faktoren wie baulichem Zustand und Betriebskosten abhängen.

Wie genau die Kitalandschaft in einigen Jahren aussehen wird hängt auch von der Nachfrage ab. In dem Planungsentwurf aus Tempelhof-Schöneberg heißt es dazu: „Die bezirkliche Jugendhilfe muss konstatieren, dass die Nachfrage zurückgeht, obwohl der Bedarf nach Bildung und Erziehung vorhanden ist.“