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„Wie im Kasperletheater“

Das Bundesverfassungsgericht verhandelte über das Kopftuch einer Lehrerin. Gestern wurden Psychologen und Pädagogen befragt, wie Kinder auf das religiöse Symbol reagieren: Sie fühlen sich an Märchen erinnert. Ausgang des Verfahrens ist offen

aus Karlsruhe CHRISTIAN RATH

Kann der Staat ein Kopftuch tragen? Baden-Württemberg sieht das so. „Wenn eine Lehrerin ein Kopftuch trägt, dann trägt praktisch der Staat ein Kopftuch“, argumentierte gestern Ferdinand Kirchhof als Vertreter der Stuttgarter Landesregierung vor dem Bundesverfassungsgericht.

Verhandelt wurde über die Verfassungsbeschwerde der 31-jährigen Lehrerin Fereshta Ludin. Baden-Württemberg hatte 1998 ihre Einstellung verweigert, weil Ludin als „Ausdruck ihrer Glaubensidentität“ auch im Unterricht ein Kopftuch tragen möchte. Sie sei deshalb nicht als Lehrerin geeignet, weil sie die Pflicht des Staates zur religiösen Neutralität nicht achte. Die Verwaltungsgerichte sahen das in drei Instanzen genauso.

„Jeder Deutsche hat nach seiner Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung gleichen Zugang zu jedem öffentlichen Amt.“ So heißt es in Artikel 33 des Grundgesetzes, auf den sich Fereshta Ludin beruft. „Das bloße Tragen eines Kopftuches kann nicht die Eignung für den Lehrberuf ausschließen“, glaubt Hansjörg Melchinger, der Anwalt Ludins, „da muss noch etwas dazukommen, etwa dass die Lehrerin zu missionieren versucht.“

Derartiges weist Ludin weit von sich. „Wenn Kinder mich fragen würden, warum ich ein Kopftuch trage, würde ich nur sagen: ‚Weil es mir gefällt.‘“ Für sie ist das Kopftuch auch kein Symbol der Frauenunterdrückung. „Davon habe ich mich immer distanziert“, beklagte sie sich gestern vor Gericht, „warum wird mir das immer wieder unterstellt?“ Sie könne sehr wohl ein religiöser Mensch sein und sich zugleich zu „freiheitlich-demokratischen Werten“ bekennen.

Das bestritt auch der Vertreter Baden-Württembergs nicht. „Wir glauben, dass Sie nicht missionieren wollen und dass Sie unsere freiheitlichen Werte teilen“, so Kirchhof, Bruder des früheren Verfassungsrichters Paul Kirchhof. „Es geht aber um die objektive Wirkung des Kopftuches, um die reine Äußerlichkeit.“

Wie das Kopftuch auf Kinder wirkt, fragte das Verfassungsgericht gestern zwei Sachverständige. Der Kieler Psychologe Thomas Bliesener glaubt, dass es für Grundschulkinder vor allem ein „ungewöhnliches Kleidungsstück“ sei – „so etwas trägt die Großmutter im Kasperletheater“ –, an das sich die Schüler schnell gewöhnen. Wenn es zu Nachahmungen komme, dann wohl „ohne Sinnverständnis“. Auch der Hamburger Psychiater Peter Riedesser sah nicht die Gefahr der Indoktrination. Wenn das Tuch überhaupt als religiöses Symbol wahrgenommen werde, dann könne es sogar zu sinnvollen Gesprächen über religiöse Traditionen und Bekenntnisse führen.

Anwalt Melchinger beglückwünschte daher das Gericht zur Einladung von Sachverständigen, während sein Kontrahent Kirchhof davor warnte, „ganz neu in die Erhebung von Sachbeweisen einzutreten“. Doch die Richter waren sehr an der Expertenmeinung interessiert. So berichtete die Essener Pädagogin Yasemin Karakasoglu von ihren Forschungen, warum junge muslimische Frauen in Deutschland beginnen, ein Kopftuch zu tragen. „Die Bezugnahme auf den Islam erweitert ihren Aktionsradius. Sie verstehen sich als aktive Städterinnen, die dennoch die Gebote Gottes in der Öffentlichkeit achten.“ Damit können sie heute gesellschaftliche Positionen einnehmen, die ihren Müttern in traditionellen Gesellschaften verschlossen waren. Der konservative Richter Hans-Joachim Jentsch fand das „äußerst spannend“, bezweifelte aber, ob sich Karakasoglus Ergebnisse verallgemeinern lassen.

Für Kirchhof war aber nach Karakasoglus Erläuterungen erst recht klar: Das Kopftuch ist ein religiöses Symbol, das zu Konflikten mit dem Erziehungsrecht der Eltern und der Religionsfreiheit von Schülern führen kann.

Ludin glaubt zwar, dass es in der Praxis gar nicht zu Konflikten kommen wird. In ihrem Schlusswort machte sie dann aber doch noch ein vielleicht entscheidendes Angebot. „Wenn es in einer Klasse wirklich massive Probleme wegen des Kopftuches gäbe, würde ich es im Unterricht als Schal tragen.“ Wollen allerdings männliche Lehrkräfte das Klassenzimmer betreten, sollten sie vorher anklopfen, so Ludin, damit sie das Kopftuch wieder aufziehen könne. Das Land ging auf dieses Angebot gestern nicht ein. Mit dem Urteil wird in einigen Monaten gerechnet.

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