: Die hippste Stadt der USA
Des Moines lag irgendwo in Iowa und galt als Inbegriff des Verschlafenen. Nun boomt die Stadt, bietet Arbeit und gute Schulen. Selbst junge Großstädter ziehen hin. Doch kurz hinter der Stadtgrenze endet die kapitalistische Mittelstandsidylle. Es regiert die Droge „Speed“
AUS DES MOINES MICHAEL STRECK
Wer aus dem Flugzeug steigt, mit verdunkelter Limousine ins „Cup O’Kryptonite Café“ gefahren wird und nicht nach draußen sieht, könnte sich in einem Coffee-Shop auf Manhattan wähnen. Und nicht an einer Ausfallstraße zu einem Mini-Flughafen, von wo die Maschinen nicht weiter als eine Stunde bis Detroit oder Chicago fliegen. Und die direkt immer geradeaus in die unendlichen Weiten der Kornfelder führt. Hier tragen die Jungs hinter dem Tresen T-Shirts mit deftigen Anti-Bush-Sprüchen, liegen Anarcho-Comics in den Regalen und kann jeder drahtlos im Internet surfen.
Wer dagegen im backsteinernen „Java Café“, eingequetscht zwischen einfallslosen Bürogebäuden, seinen Latte schlürft, glaubt, in der Kaffeehauptstadt Seattle zu sein, Hier findet der urbane Espressofreund alle Geräte und Zutaten für seinen Genuss. Die Bedienung trägt Nasenringe.
Aber das hier ist Des Moines, Hauptstadt von Iowa. Die verschlafenste Metropole der Welt oder zumindest in den Topten. Etwas verwirrt erinnert sich der Besucher aus der Fremde jetzt, dass David Letterman den Ort in seiner „Late Show“ der Erwähnung würdig befand, als hier vor einem Jahr der erste „Starbucks“ aufmachte, was aus New Yorker Sicht so viel bedeutet wie: Des Moines ist nunmehr an das nationale Stromnetz angeschlossen.
Wer die rund vier Kilometer zwischen den beiden Cafés zurücklegt, stößt nach Sonnenuntergang auch nur auf wenig Licht und selten Spuren menschlichen Lebens. Auch tagsüber glaubt man oft, in einer städtischen Filmkulisse zu sein, während gerade Drehpause ist.
Der Eindruck trügt.
Zum einen geht der US-Amerikaner nun mal ungern zu Fuß. Überdies können viele Monate eisige Winde über die Prärie wehen. Die Menschen huschen daher in gläsernen Röhren zwischen den Häusern über die Straße. Doch es werden immer mehr Häuser und Röhren gebaut. Des Moines boomt. Es ist ein leiser Aufschwung. Die Hauptstadt Iowas und ihr Bundesstaat werden im Prinzip ja nur alle vier Jahre für wenige Wochen von der amerikanischen Presse beachtet, wenn hier die ersten Präsidentschaftsvorwahlen stattfinden. Anschließend drehen sich alle schnell wieder weg. Des Moines sei jedoch „the hippest city in the USA“, schrieb jüngst das Wirtschaftsmagazin Fast Company provozierend, und in den Chefetagen von Boston wird man sich an den Kopf gefasst haben.
Tatsächlich erleben nach Jahren des wirtschaftlichen Niedergangs einige Städte des Mittleren Westens einen Aufschwung: Fargo in North Dakota etwa, Omaha in Nebraska und Des Moines eben. Mehr noch: Sie konkurrieren plötzlich mit den „Global Cities“ um Unternehmen und Arbeitsplätze – eine Entwicklung, die ausgelöst und befördert wurde durch neue Technologien, Standortwettbewerb und nicht zuletzt den 11. September.
„Terrorismus zerstört Agglomerationen“, sagt David Shulman, Immobilien-Experte für Lehman Brothers in New York. Firmen siedeln sich dort an, wo sie glauben, nicht auf dem Radarschirm von Terroristen zu sein. Regionale Verschiebungen, die bereits vor 9/11 im Gange waren, wurden beschleunigt. So lag die Zahl von „Fortune 500“-Firmen in New York im Jahre 1979 noch bei 140. Heute liegt sie bei 39. Ähnliche Schicksale haben Los Angeles, San Francisco und Chicago ereilt.
Des Moines ist so etwas wie der lachende Fünfte. Die Stadt ist mittlerweile zum Zentrum der US-Versicherungswirtschaft aufgestiegen. 60 Versicherer haben hier ihren Sitz. Sie alle kommen, weil der Immobilienmarkt billig ist, die Kriminalitätsrate niedrig und die öffentlichen Schulen hervorragend (die Stadt wurde vom „National Council of Children“ zur besten Stadt für Grundschulausbildung gekürt), die Pendlerzeiten kurz, die Arbeitskosten gering sind.
Richard Hibbs, Chef von „Principial Financial Group“, mit 3.500 Angestellten der größte Arbeitgeber der Stadt, hebt neben den üblichen ökonomischen Vorteilen die besondere Arbeitsethik der Midwest-Menschen hervor: fleißig, diszipliniert, zuverlässig. Gute protestantische Tugenden eben. „Die Stereotype dieser Region sind zu unseren Gunsten.“
Die Stadt hat daher ein Problem, von dem andere Kommunen nur träumen: Es gibt zu viele Arbeitsplätze. Zwar macht das Wort langsam in Amerika die Runde, doch immer noch zu wenige Manager lassen alles stehen und liegen, um den warmen Passatwind in Miami gegen den harschen Winter oder Sushi-Bars gegen Burger-Buden einzutauschen. Man muss die Leute also hierher locken. Inzwischen bieten Firmen freies Parken, freie Fitnessstudios, freie Fortbildung und Schulausbildung für den Nachwuchs.
Zum Beispiel in der „Downtown-School“, einem Joint-Venture-Projekt zwischen 19 ansäßigen Unternehmen und der öffentlichen Schulverwaltung. Die Firmen spenden Geld, Material und Räume, die Stadt kümmert sich um Lehrer und Organisation. 17 Lehrer betreuen hier 240 Kinder. Die Idee, eine Schule in der Nähe der elterlichen Arbeitsstätten anzusiedeln, ist ein solcher Renner, dass eine zweite in Bau ist. Sie steht im Kontrast zum hierzulande gewohnten Muster, dass öffentliche Schulen in der Innenstadt miserabel sind; wer eine anständige Bildung für seine Kids will, muss hier nach Suburbia ziehen. „Im Durchschnitt zahlen Eltern für eine Schule dieser Güte 20.000 Dollar im Jahr. Das ist ein enormer Anreiz für junge Familien“, sagt Leiterin Sharon Ingebrand.
Preis und Qualität von Schulausbildung sind in den USA eines der wichtigsten Motive für einen Ortswechsel. Daher können auch hartgesottene urbane Trendsetter diesem Angebot nicht widerstehen. Bankfrau Kelly Ferguson zog mit Mann und zwei Kindern aus Chicago her. „Für feine Restaurants hätte ich jetzt dort auch kaum Zeit, und wir müssen ja nicht ewig hier bleiben“, sagt sie und steckt ihre Söhne in den Jeep, um ohne Stau in den nahen Vorort zu fahren. Doch einige Meilen weiter draußen, vorbei an Feldern ohne Ende, verlassenen Bauernhöfen und verrostenden Getreidesilos endet die Mittelstandsidylle. Und zwar abrupt.
Hier, hinter oder in den alten Schuppen, hat sich in den letzten zehn Jahren etwas zusammengebraut, das sich wie ein schwarzer Schatten über das wohl behütete und tugendhafte „Heartland of America“ legt. Iowa ist zu einem der wichtigsten Produktions- und Umschlagplätze für Methamphetamine, besser bekannt als „Speed“, geworden. Es ist „die schlimmste Droge, die Amerika jemals betroffen hat“, wie ein Bericht des Justizministeriums in Washington unlängst konstatierte.
Der ursprünglich von Schmugglerbanden aus Mexiko eingeschleppte Stoff fand in Iowa optimale Herstellungsbedingungen. Die wichtigste Zutat, ein Düngemittel für die Landwirtschaft, ist auf fast jeder Farm billig und problemlos zu besorgen. Die selbst gebastelten Chemielabore nach Internet-Anleitung sind auf verwaisten Höfen und in den riesigen Feldern leicht zu verstecken. Am Ende entsteht ein Gemisch, das fast die gleiche Wirkung wie Kokain hat, aber nur ein Viertel kostet. „Kokain des armen Mannes“ nennt man das hier.
Fahnder gestehen, dass der Kampf gegen die künstliche Droge so erfolglos geblieben ist wie einst der Kampf gegen Alkohol zur Prohibition. „Speed“ ist in Iowa stärker verbreitet denn je zuvor. Zwischen 1998 und 2003 ist die Zahl der entdeckten Labore um ein Vielfaches gestiegen. Waren es damals noch 136, sind es heute bereits über 1.000.
„Sie sind einfach überall“, sagt Tony Leys, Reporter beim Des Moines Register. Vier Monate hat er recherchiert. „Du kannst mit deinen Finger auf irgendeinen Punkt der Landkarte in Iowa zeigen, hinfahren, und du findest fast immer ein Labor.“
„Speed“ ist nach Angaben des „Office of Drug Control Policy“ in Des Moines mittlerweile Ursache Nummer eins bei Straftaten. „Die Droge ist so zerstörerisch“, sagt Dr. Dennis Weiss, der am „Powell Chemical Dependence Center“ rund 600 Meth-Patienten betreut. Innerhalb von sechs Monaten bis zu zwei Jahren macht die Substanz abhängig. Sie zerstört in kürzester Zeit Gehirn-Transmitter, sodass auch nach erfolgreicher Behandlung der Sucht Gehirnschäden bleiben.
Das stellt das Bild von Amerika auf den Kopf. Drogen galten immer als Großstadtproblem. Jetzt trifft es den ländlichen Mittleren Westen, das konservative Rückgrat der USA, in dem nur noch einige Kathedralen des Kapitalismus wie die Boomtown Des Moines leuchten. Sie prosperiert und ist „clean“, während der Rest Iowas unter Farmensterben, Armut und Depression leidet.
Der Barkeeper im „O’Kryptonite“ hat übrigens noch nie „Speed“ probiert. Er kann aber alle verstehen, die es tun. Für ihn leuchtet Des Moines ganz und gar nicht. „Es ist“, sagt er, „so sterbenslangweilig hier.“