Fortpflanzen für Deutschland

Nach „Schnulleralarm“ auf RTL 2 und „Hallo Baby“ auf Vox ist jetzt endlich auch Sat.1 schwanger. „Wir machen ein Baby“, dokusoapt es zur besten Sendezeit (20.15 Uhr)

Die Lebenserwartung steigt, die Geburtenrate sinkt. Wir werden im Schnitt 77, jede Frau kriegt 1,2 Kinder. In einem Wort: Die Vermehrungsquote in Deutschland ist erbärmlich. Das hat auch der Familiensender Sat.1 entdeckt und will die Bevölkerung vor dem Aussterben bewahren. „Wir machen ein Baby“, heißt die 14-teilige Befruchtungsoffensive des Kanals, der die Losung ausgibt: Nachwuchs ist das einzig selig machende Glück der heterosexuellen Welt.

„Endlich schwanger“, verheißt denn auch in der ersten Folge eine verrucht klingende Frauenstimme aus dem Off – „ein Glücksgefühl, wie es tiefer nicht empfunden werden kann“. Und damit das auch jede/r in den fortpflanzungsfaulen Schädel kriegt, berichten zehn Paare in guter Hoffnung untermalt von stetem Kuschelrocksoul über die Zeit von der Empfängnis bis zum Windelwechseln. Schwer verliebte Pärchen beim Spaziergang im Herbstwald, werdende Väter beim Vorlesen, gemeinsame Erwartungsfreude beim Geschlechterraten per Ultraschall, turteliges Stramplershopping und immer wieder der Griff in die Schlüsselreizkiste: Babys rauf und runter, Babys beim Spielen, Sabbern, Brabbeln, Kriechen. Das wäre nur noch anbiedernd und plump, eine Art moderner Lebensbornjingle, wenn es nicht recht ausgewogen choreografiert wäre. Denn bei allem missionierenden Dokusoap-Gestus schafft Sat.1 doch einen Querschnitt durch die Gebärwelt dieses Landes.

Ob künstliche oder sexuelle Befruchtung, Inländer, Ausländer, Aussiedler oder Mischehe, kerngesunde oder behinderte Eltern, eher besitzlos oder stinkreich, Familienidyll oder allein erziehend, Ein-Kind-Politik oder Sippendenken, Ottonormalschwangere oder Promibauch – die dreiviertelstündigen Folgen im Videoclipstil lassen (fast) kein soziales Umfeld unbeachtet. So nervt ein Unternehmerpaar, das zum Lätzchenkauf zu „Baby Dior“ nach Paris jettet, während in der Szene zuvor Müllsäcke voll gebrauchter Babysachen durchforstet werden. Während die einen diskutieren, ob das Kind in den USA zur Welt kommen soll, kaufen die anderen einen Opel für 500 Euro. Wo Anita und Uwe beten, dass ihr Kind nicht blind sein wird, umtreibt Jennifer und Roberto die Sorge um die Zahl der X-Chromosomen. Vielleicht ist diese unkommentierte Dramaturgie erzieherisch gemeint: Macht euch eigene Gedanken über die Welt, in die ihr neues Leben setzt. Vielleicht ist es auch nur der Versuch, alle Zielgruppen zu erreichen. In jedem Fall sprengt Sat.1 keine Grenzen. Die totale Verarmung bleibt ebenso aus wie die ungewollte Schwangerschaft. Und so hat „Wir machen ein Baby“ doch in jeder Phase die rosarote Brille auf. Mehr Babys für Deutschland. Dann klappt’s auch mit der Rentenkasse.

JAN FREITAG