Off-Kino : Filme aus dem Archiv – frisch gesichtet
Betrachtet man die Karriere von Marlon Brando, fällt auf, dass der Mime – neben einem offenkundigen Faible für schlechte Filme – vor allem einen Hang zum Masochismus zu haben scheint. Vermutlich wurde kein anderer Star in seinen Rollen so oft verprügelt, gedemütigt, ausgepeitscht und umgebracht wie Brando. Herausragende Beispiele sind sein Part als blutig geschlagener, aber ungebeugter Hafenarbeiter in Elia Kazans „On the Waterfront“ (1954) und der Drifter in Sidney Lumets „The Fugitive Kind“ (1960), der von einem Mob bei lebendigem Leib verbrannt wird. Nicht viel besser geht es dem berühmten Method-Schauspieler, der in diesem Monat 80 Jahre alt wurde, in seiner einzigen Regiearbeit, dem Western „One-Eyed Jacks“ (1961): Als Bandit Rio versucht Brando eine Rechnung mit seinem ehemaligen Kumpan Dad (Karl Malden) zu begleichen, der ihn einst verraten hatte und mittlerweile seinen Lebensunterhalt als Sheriff verdient. Nach vielerlei Hin und Her scheint Dad die Oberhand zu behalten: Er peitscht Rio öffentlich aus und zerschlägt ihm die Revolverhand. Zweifellos ist „One-Eyed Jacks“ ein außergewöhnlicher Western, auch, weil Brando Action vornehmlich durch Melodrama ersetzt. Oftmals brütet Brando lediglich düster vor sich hin und zelebriert geradezu seine eigene Langsamkeit.
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Da ihm die Völkerverständigung stets am Herzen lag, entwickelte Jean Renoir eine bedenkenswerte Theorie. Die Unterteilung der Welt in einzelne Nationen mache überhaupt keinen Sinn, meinte der französische Regisseur, denn Menschen mit ähnlichen Erfahrungen könnten sich überall verständigen. Die Grenzen verliefen vielmehr zwischen den verschiedenen Klassen: Ein französischer Bauer und ein französischer Aristokrat hätten sich garantiert weniger zu sagen als ein französischer und ein chinesischer Bauer. Der gleiche Gedanke kommt auch in einem von Renoirs bekanntesten Filmen zum Tragen: In „La Grande Illusion“ (1937) begegnen sich während des Ersten Weltkriegs ein deutscher und ein französischer Offizier (Erich von Stroheim und Pierre Fresnay), die trotz der Feindseligkeiten ihrer Nationen immer Respekt und Verständnis füreinander bewahren. Ursprünglich hatte Stroheim nur eine kleine Nebenrolle spielen sollen, doch der geniale Regisseur baute seinen Part ständig aus und hatte immer neue Ideen für seine Figur: Die Halskrause, die er als Festungskommandant trägt, identifiziert ihn nicht nur sofort als abgestürzten Flieger, sondern macht den Mimen auch vollkommen unverwechselbar.
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Nachdem man bei Disney kürzlich den Abschied vom traditionellen Zeichentrickfilm erklärt hat, kommen die besseren „Disney“-Filme nun aus Russland. Ilya Maximovs Bearbeitung des Hauff-Märchens „Zwerg Nase“ zielt eindeutig auf internationales Publikum ab: Die Aufgabe der osteuropäischen Trickfilmtradition mag man bedauern, doch den Vergleich mit den jüngeren Filmen von Disney muss die aufwändige Produktion nicht scheuen. LARS PENNING