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Archiv-Artikel

Vier Quadratmeter

„4m3“: Anne Minetti inszeniert vier Formen menschlicher Angst. Im Knast, im Fahrstuhl, im Schaufenster

Du willst raus, kannst aber nicht raus. Eingeschlossen in einen Raum, der vier Quadratmeter klein ist. Vier Räume, vier Geschichten, vier Ängste. Anne Minetti, die aus Paris stammende Mitbegründerin der in Bremen beheimateten „steptext dance company“ zeigt mit ihrem Bewegungstheater „4m3“ im Jungen Theater, dass Angst nicht isoliert, sondern verbindet.

Im Knast, im Schaufenster, im Fahrstuhl, in der Umkleidekabine. Vier Menschen und eine Verbindung: Angst. Eine Hure ganz still, zärtlich auf ihrem Hocker – sie weiß es genau: Hure ist Hure und Hure muss locken. Sie kann nicht raus aus ihrer Rolle. Winden, dehnen, Schmerz empfinden. All das nützt ihr nix.

Der Fahrstuhl stockt, bleibt stecken. Angst im Anzugträger. Angst, weil eine Veränderung eingetreten ist. Nicht Resignation folgt in seinem Spiel, Annäherung ist es, die ihm einfällt. Raumübergreifend lehnt er an der Fahrstuhltür, die kippt und schließlich am Schaufenster der Hure lehnt.

Wirklich eingeschlossen ist nur der Knastbruder. Auch er zeigt seine Angst. Die Angst vor dem Ich-Verlust. Geometrisch füllt er seinen Raum in körperlicher Akrobatik und revoltiert im Selbstgespräch gegen seine Schuld. Der Umkleidekabinenmann weiß nicht wer er ist. Nur in Badehose wirbelt er die Locken seines Kopfes.

Er weiß nicht wer er ist. Und will es wissen. Das könnte man jetzt tiefenpsychologisch aufkasteln, will man aber nicht. Denn Augusto Jaramillo Pineda, als Identitätsängstlicher in Badehose und Umkleidekabine, könnte ebenso ein verwirrter Vogel sein, der durch schallenden Sinsang Freude vortäuscht über die vier Quadratmeter, die Käfig und Leben in einem sind. Auch ist Robert van den Dolder als Fahrstuhlgefangener nicht bloß Angst.

Kraft zeigt er, Ideenreichtum. Er will gar nicht raus aus dem Raum, er lotet und füllt ihn körperlich gekonnt aus. In einer Präzision, als sei er selbstverliebt und eins mit seinem Raum.

Ein tiefgründiger Abend, den Anne Minetti geschaffen hat. Doppelbödig, eingeschlossen und Reize flutend.

Hannes Krug

Weitere Vorstellungen: 6. bis 8. Juni jeweils 20.30 Uhr im Jungen Theater am Güterbahnhof