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Archiv-Artikel

Verspielte Anarchie

Wir spielen Mozart und wir sind trashig: Das Pathos des Understatement lässt „Wolf … oder wie Mozart auf den Hund kam“ von Alain Platel an der Volksbühne etwas in den Kitsch abgleiten

von KATRIN BETTINA MÜLLER

Am Ende hat man fast vergessen, wie wunderbar das war: als das ganze Ensemble von Alain Platel die „Internationale“ tanzte. Wie sich die unterschiedlich geprägten Körper von Tänzern aus Frankreich, Burkina Faso und Korea, von taubstummen Künstlern, HipHop-Akrobaten und Zirkusartisten, die bis dahin in unterschiedlichen Tempi unterwegs waren, in den einen Rhythmus gleiten lassen. Wie sie im Takt ihrer nackten Füße die Küsten Afrikas streifen und dann mit dem Klatschen der Hände auf Schenkel, Herz und Po tatsächlich die „Internationale“ aufleben lassen. Das ist fantastisch: wie sie mit kleinen Verschiebungen der Akzente in den Bewegungen von Mozart durch den afrikanisch-brasilianischen Tanz zu einer neuen Form der Verschmelzung finden.

Dennoch hat man es bald wieder vergessen, weil so viel davor und danach passierte. Weil zuvor eine Mozart-Arie der Leidenschaft, von der Mezzo-Sopranistin Marina Comparato vorgetragen, von Gregory Kamoun Sonigo in ein wütendes Tanzsolo übersetzt wurde: radschlagend, handstehend, auf Kopf und Schultern drehend, dem Schmelz der Musik ebenso erlegen wie gegen die eigene Ergriffenheit rasend. Weil danach Musiker des Klangforum Wiens, die bis dahin im zweiten Stock des Bühnenbildes von Bert Neumann hinter Gittern spielten, plötzlich Mozart nach vorne an die Rampe bringen und zwar mit den Fingerkuppen auf gefüllten Weingläsern kreisend. Weil man manchmal länger den beiden Taubstummen zusehen musste, die sich über größere Distanzen und das Chaos der anderen hinweg ihre Zeichen zusenden. Weil einem später als erstes die Hunde wieder einfallen, über ein Dutzend, die erstaunlich friedlich zwischen all den anderen rumwuselten und die Aufmerksamkeit der Zuschauer ganz anders in Anspruch nahmen als die Performer, die man ja doch immer irgendwie verstehen will – den Hunden dagegen gönnt man ein pures Sein.

Kurzum, man hat viel zu tun beim Gastspiel des belgischen Tanztheatermeisters in der Volksbühne. Es gibt mehr als eine Kultur, mehr als eine Sprache, mehr als das, was wir unter Kunst kennen: Das sind die Basics, von denen aus Platel sein Stück gemacht hat, das im Auftrag der Ruhrtriennale entstand und in Koproduktion mit der Volksbühne, die mit solchen Gästen die Abwicklung ihres eigenen Tanztheaters kompensiert. Wir spielen Mozart und wir sind trashig: Das Pathos dieses Understatement ist programmatisch.

Ein bisschen Kitsch darf sein: Engel fliegen an weißen Tüchern über der Bühne und stürzen aus großer Höhe dank des akrobatischen Einsatzes von Juliana Neves. Lisi Estaras aus Argentinien bringt etwas vom ironischen Selbstbewusstsein der jüdischen Diaspora auf die Bühne. Raphaelle Delauny facht eine Art Wettbewerb in Authentizität der ethnischen Kulturen an, der gleich ins Parodistische kippt.

Was das alles zusammenhält? Die Liebe zu Alain Platel, der seine Darsteller sammelt wie Franz von Assisi den Gesang der Vögel? Die Inszenierung jedenfalls scheint mit dem Ziel pädagogischer Gerechtigkeit gebaut: Jeder darf, so viel er will, und kann sich selbst darstellen und Platel scheint der, der dieses Chaos ohne hierarchische Ordnungsmuster in ein geschicktes Patchwork einwebt.

Mit Platel hat auch Sidi Larbi Cherkaoui zusammengearbeitet, der vor einigen Wochen in der Schaubühne seine Choreografie „Foi“ zeigte. Da stand über der Bühne ein Ensemble, das Lieder des 14. Jahrhunderts spielte, als das mittelalterliche Europa von Arabien lernte. Mit dieser Musik öffnete sich eine Ferne, die das, was auf der Bühne geschah, aus unterschiedlichen Distanzen erleben ließ. In „Wolf … oder wie Mozart auf den Hund kam“ dagegen legt allein die Musik in der Bearbeitung von Sylvain Cambreling den Weg zwischen den Zeiten zurück: Schön bricht das Klangforum Wien den historischen Horizont in den Zitaten aus den Opern und Konzerten Mozarts auf und lässt die Praxis des Musikverbrauchs durchschimmern. Die Aufführung dazu aber ist zu sehr mit sich selbst beschäftigt und bleibt in der Gegenwart stecken.

Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, 7. und 8. Juni, 19.30 Uhr