: Sklaverei unter Tage
Das Deutsche Bergbaumuseum in Bochum hat die bundesweit erste Forschungshilfe zur Zwangsarbeit im Ruhr-Bergbau veröffentlicht
VON ANNIKA JOERES
Die Geschichte der Zwangsarbeiter unter Tage kommt ans Licht: Bochumer Wissenschaftler stellten gestern im Bochumer Bergbaumuseum ihre Publikation zur „Zwangsarbeit im Ruhrgebiet während des zweiten Weltkrieges“ vor. „Erstmalig werden die Originalquellen für jeden zugänglich“, sagt Hans-Christoph Seidel vom Institut für soziale Bewegungen an der Ruhr-Universität Bochum. Das so genannte Archivinventar zeige detailliert auf, in welchen Archiven Material zur Zwangsarbeit während der Nazi-Zeit vorhanden sei. Vor allem für ehemalige Zwangsarbeiter und deren Angehörige sind die Ergebnisse interessant: Mit deren Hilfe könnten sie ihre Ansprüche auf Entschädigung gelten machen. „Wir haben schon Hunderte von Anfragen erhalten“, sagt Seidel.
Die Ruhrkohle Aktiengesellschaft (RAG) hat im Jahr 2000, als in der Öffentlichkeit der Entschädigungsfonds für die ehemaligen Zwangsarbeiter diskutiert wurde, das Forschungsprojekt in Auftrag gegeben. Insgesamt stehen für das Projekt rund 1,3 Millionen Euro zur Verfügung. „Wir haben aber vollkommen unabhängig gearbeitet“, betont Seidel. Historiker Holger Menne hat 130 Archive durchforstet, staatliche, lokale und auch Archive von Unternehmen. Er stieß auf eine Fülle von Dokumenten: Es existieren noch Rundbriefe über Arbeitszeiten und Essensrationen, geschäftliche Briefe der Unternehmen, Lohn- und Prämienabrechnungen. „Die Ausbeute ist riesig“, sagt Menne.
Die Steinkohleförderung im zweiten Weltkrieg konnte nur durch den massiven Einsatz der Zwangsarbeiter aufrecht erhalten werden, sie stellten teilweise 50 Prozent der Belegschaft. Über 350.000 Menschen wurden zur Plackerei unter Tage gezwungen, einige schufteten ein paar Tage, andere mehrere Jahre. Es waren vor allem Polen, Tschechen, Russen, Juden und Kriegsgefangene aus allen besetzten Ländern. Die als „slawische Untermenschen“ Bezeichneten litten unter unzureichender Nahrung, sie wurden kaum medizinisch behandelt. Im Februar 1944 berichtete ein Lagerarzt bei der Firma Krupp in Essen, dass in einem zerstörten Lager für Kriegsgefangene „die Leute in Aschen-Behältern, Hundeställen, alten Backöfen und in selbstgefertigten Hütten hausten“. Sie wurden willkürlich mit Schlägen, Schlaf- und Nahrungsentzug gequält. Im August 1942 berichtete ein Dortmunder Bergrevierbeamter, dass russische Kriegsgefangene in der Grube oft nach kurzer Zeit zusammenbrechen und apathisch würden. Nicht mehr arbeitsfähige Menschen wurden dann in Lager gebracht, in denen viele von ihnen den Tod fanden.
„Die Bergbauunternehmen waren über die Zustände informiert“, sagt Menne. So wurde etwa in einer Direktorenbesprechung des Kruppschen Bergbaus mit der Konzernleitung im Juni 1942 auf „verschiedene Fälle“ schwerer Misshandlungen im Untertagebetrieb hingewiesen. Manche Bergwerksunternehmen forderten das Ende dieser Misshandlungen, viel häufiger aber konnten die Täter auf die stillschweigende Duldung der Vorgesetzten setzen.
Die erforschten Dokumente zeigen auch, dass die deutschen Bergleute nur selten solidarisch oder mitfühlend waren. Auch für sie waren die Zwangsarbeiter nur minderwertige Handlanger.
Holger Menne, Michael Farrenkopf: Zwangsarbeit im Ruhrbergbau während des zweiten Weltkrieges, Bochum 2004