: Die Konzepte liegen seit langem vor
betr.: „Allein es fehlt der Glaube“ (Was bleibt nach den Protesten gegen Sozialabbau?), taz zwei vom 6. 4. 04
Als langjährige begeisterte taz-Abonnentin und Genossenschafterin und gleichzeitig hauptamtliche Gewerkschafterin habe ich mich ziemlich über den Beitrag von Daniel Schulz geärgert. Und zwar vor allem darüber, dass er über die Gewerkschaften schreibt, „ein tragfähiger Alternativvorschlag zur derzeitigen Politik könnte von keiner Zeitung und keinem Sender ignoriert werden. Das wissen vor allem die, die sich gut informieren.“ Damit bläst er in dasselbe Horn wie unter vielen anderen auch Franz Müntefering, der behauptet, die Gewerkschaften seien ja nur Besitzstandswahrer und sie hätten keine Konzepte.
Das ist falsch. Diese Konzepte liegen seit langem vor. Und trotzdem wird – außer hin und wieder ansatzweise in der taz (in anderen Artikeln) und ein paar wenigen anderen Zeitungen – nirgends darüber berichtet. Vielleicht weil es für eine Gut-böse- oder Altmodisch-modern-Story einfacher ist, die Gewerkschaften in die Ecke der ewig gestrigen Blockierer zu stecken. Vielleicht, weil es dem gedanklichen Mainstream entspricht. Vielleicht weil man sich einfach nicht wirklich mit differenzierenden Inhalten auseinander setzen will. […]
SANDRA GOLDSCHMIDT, München
Hinsichtlich der ironischen Darstellung der sozialen Zustände – der Autor betonte ja, die Besitzstandswahrungsängste der meisten Protestler drehen sich in erster Linie um den Verlust des Zweitwagens – muss ich annehmen, dass der Autor entweder in einem anderen Land wohnt oder auch die Beschäftigung mit beispielsweise sozialwissenschaftlichen Analysen, die die soziale Situation seit Anfang der 90er-Jahre in Deutschland beschreiben, scheinbar nicht stattgefunden hat.
Was soll man mit Begriffsmonstren wie „Polit-Yuppies“ anfangen? Was soll das sein? Wo finde ich in unseren Städten die „mobilen, gebildeten, städtischen Jungen“, im Audimax irgendeiner Großuniversität vielleicht? Welches Fantasieprodukt einer kritischen Intelligenzija ist dem Autor da eingefallen?
Als Gremiumsmitglied des Betriebsrats einer Commerzbank-Tochter habe ich in dreieinhalb Jahren zwei Sozialplan-Verhandlungen mitmachen müssen. Was soll also der unsinnige Vergleich der Arbeit der Attac-Gruppen mit der Basisarbeit von Gewerkschaftlern, wo keine Sonntagsreden, wie sie tatsächlich oft von Großfunktionären der Gewerkschaften bei solchen Veranstaltungen gehalten werden, helfen. Ich schlage folgende Lektüre vor, damit der Autor, wenn schon nicht aus eigener Erfahrung, zumindest aus zweiter Hand eine eindrückliche Schilderung der zunehmenden Prekarität von Lebensverhältnissen sowie der Lebenswirklichkeit von Menschen in Westeuropa bekommt : Bourdieu, P. (1997), „Das Elend der Welt. Zeugnisse und Diagnosen des alltäglichen Leidens an der Gesellschaft“, Konstanz: UVK. […] GIUSEPPE NAVETTA, Hamburg