Wirtschaft sieht das Jobwunder nicht

Die Industrie behauptet gern, Umweltschutz vernichte Arbeitsplätze. Stimmt aber gar nicht, meint das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung. Einer Studie zufolge arbeiten 1,5 Millionen Deutsche im „grünen Sektor“, es können noch mehr werden

Das Plus an Jobs gäbe es nicht ohne Erneuerbare Energien: Hier arbeiten 119.000 Menschen

AUS BERLIN HANNA GERSMANN

Fast 1,5 Millionen Deutsche verdanken ihrem Job dem Umweltschutz. Der grüne Sektor hat damit einen Anteil von 3,8 Prozent an der Gesamtbeschäftigung – und das ist mehr als der Maschinenbau, der Fahrzeugbau oder das Ernährungsgewerbe. „Umweltschutz ist ein Wirtschaftsfaktor“, sagte Andreas Troge, Präsident des Umweltbundesamtes (UBA), als er gestern diese Zahlen präsentierte. Sie gelten für das Jahr 2002, Wissenschaftler des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) haben sie in seinem Auftrag ermittelt.

Umweltschutz ist kein Jobkiller? Das Dosenpfand kostet 25.000 Arbeitsplätze, warnt die Verpackungsindustrie. Der Klimaschutz gefährdet die Wettbewerbsfähigkeit, empören sich deutsche Konzerne. Und wer die Chemiepolitik verschärft, drängt Bayer und Co ins Ausland, drohen Lobbyverbände. „Die Diskussion ist alt und schief“, sagte Troge. Das hänge damit zusammen, dass die Verlierer laut posaunten, die Gewinner hingegen still genössen: „Netto gibt es positive Beschäftigungseffekte.“ Im Vergleich zu 1998, als die Arbeitsplätze im Boden-, Klima - oder Wasserschutz schon mal berechnet wurden, seien denn auch 46.700 neue Jobs entstanden.

Doch wachsen lange nicht alle Sektoren. Die Zeiten der großen Investitionen in Kläranlagen oder Altlastensanierung sind vorbei. So gab es in diesem klassischen Bereich 2002 nur noch 118.000 Beschäftigte und damit 35.000 weniger als vier Jahre zuvor. Mittlerweile sichern vor allem Wartung und Reparatur der Anlagen die Beschäftigung. Ohnehin geht es bei 70 Prozent der Umweltjobs um Dienstleistungen. Dazu gehört etwa die Abfallberatung oder die Umweltbildung – mit 22.000 neuen Stellen seit 1998.

Auch im Ausland steigt das Interesse an Umwelttechnik und -wissen. Deutschland ist mit einem Anteil von 16 Prozent am Welthandel der zweitgrößte Umweltexporteur nach den USA. Diese können laut Troge allein durch ihre Größe mehr anbieten.

Das Plus an Umweltjobs gäbe es dennoch nicht ohne die Erneuerbaren Energien: 1998 waren hier noch knapp 67.000 Personen beschäftigt, 2002 schon 119.000. Das ist ein Anstieg von nahezu 80 Prozent.

Was sich im Einzelnen so klar anhört, ist in Wahrheit allerdings nicht so leicht zu erfassen. Denn was ist ein Umweltjob und was nicht? Bei den Windrädern und der Müllabfuhr ist das vergleichsweise einfach. Schon beim umweltfreundlichen Verkehr wird es schwierig. So wird zwar der Stellenabbau bei der Deutschen Bahn einbezogen, der beim Carsharing aber nicht. Die Experten stützen sich auf internationale Konventionen, erklärte Silvia Schwermer, die die DIW-Studie im UBA betreut hat. Und weil der Öko-Tourismus oder der Einbau von Schadstofffiltern in Industrieanlagen noch gar nicht einberechnet seien, handele es sich sogar um eine „konservative Schätzung“.

Der Umweltschutz sei eben wie „eine Amöbe, die sich überall einmischt“, fügte Troge hinzu. In den nächsten Jahren erwartet er vor allem durch Maßnahmen zum Energiesparen neue Impulse für den Arbeitsmarkt. Wer Wohnungen saniere, alte Heizungsanlagen ersetze und die Wärmedämmung verbessere, spare klimaschädliche Gase und Geld. Gleichzeitig kurbele das die gebeutelte regionale Bauwirtschaft wieder an: Bis 2010 seien so 120.000 neue Jobs denkbar. Außerdem sei der Boom der Erneuerbaren Energien allein wegen des Atomausstiegs und rückläufiger Erdölförderungen lange nicht vorbei.

Noch skeptisch? Tatsächlich fällt Troge ein Fall ein, in dem Umweltschutz Jobs kostete: Die Lederindustrie ging ins Ausland, als Deutschland verbot, giftiges Chrom, das beim Färben auftritt, ins Abwasser einzuleiten. Nur: Das ist mehr als 50 Jahre her.