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Archiv-Artikel

Alexander Diehl über den Zigarettentourismus

Letzte Rauchfahrt: Helgoland

Dass jemand zum ersten Mal da ist, erkennen nicht nur die alten Helgoländer sofort: am braunen Papier, in das die Ware eingeschlagen wird, am nervösen Hin-und-her-Schauen während der nötigen Handgriffe, die zur Vorbereitung auf die Einnahme dienen. Und an der Art des Konsums selbst: immer in Bewegung, rastlos und verstohlen. Es dauere immer eine Weile, sagt Peer Antony, bis die Besucher sich daran gewöhnt hätten, „dass sie in Helgoland noch dürfen“. Später dann würden sich die Fremden entspannter zeigen und ganz offen tun, weswegen sie gekommen sind. Am helllichten Tag. Vor Augenzeugen.

Peer Antony, 54, ist in der vierten Generation Helgoländer und Teil einer aussterbenden Gattung: Er verkauft Tabakwaren und Alkohol, und das schon seit gut drei Jahrzehnten. Ein selbstständiger Ladenbesitzer, so wie es noch sein Vater voll Stolz war, ist er aber nicht mehr: Ihrem in dieser Form nur noch hier möglichen Geschäft gehen Antony wie auch seine drei auf der Insel verbliebenen Kollegen längst im Dienste anderer nach.

Denn während es vielerorts in Europa noch Alkoholika zu kaufen gibt und hier und da – die lokalen Traditionen wollen es so – sogar noch 22 Volumenprozent Alkoholgehalt und mehr erlaubt sind, ist Helgoland das letzte Refugium des Tabakrauchens. Nur noch ein Schatten ihrer selbst, weit von ihrer vormaligen Macht entfernt, noch Einfluss auf die europäische Politik nehmen zu können, hält sich die Tabakindustrie auf dem roten Felsen vor der Elbmündung ihre letzten vier Verkaufsstellen.

Geschichte? Robben? Lummenfelsen? nein. Die Touristen kommen, weil sie ohne Strafe rauchen können

Wer heute nach Helgoland kommt, im vergangenen Jahr waren es immerhin 400.000 Menschen, tut das vielleicht aus Interesse an der wechselvollen Geschichte des Eilands, das einmal als „Deutschlands einzige Hochseeinsel“ firmierte. Vielleicht auch wegen der letzten in Europa zu findenden Kegelrobben – die räkeln sich hier mit ihren kleinen Vettern, den Seehunden, noch immer auf dem verbliebenen Strand der Nebeninsel, der früheren „Badedüne“. Vielleicht kommen die Touristen auch, um dem Lummenfelsen, früher ein wichtiger Brutplatz für allerlei Seevögel, beim Abbröckeln zuzusehen. Oder sie kommen, um der vor gut 15 Jahren in der Nordsee verschwundenen „Langen Anna“ nachzuweinen, jener Säule aus Buntsandstein, die jahrzehntelang das Inselwahrzeichen war.

Aber es ist eben der Rauch, für den Helgoland heute europaweit bekannt ist. Die längste Zeit hatte das Eiland gegen seinen Ruf als „Fuselfelsen“ angekämpft. Da war, noch im ausgehenden 20.Jahrhundert, ein Kunstsommer ins Leben gerufen worden, und mit einigem guten Willen hatte sich einige Jahre lang ein regelmäßiger Marathonlauf etablieren lassen – auf einer Fläche von gerade mal einem knappen Kilometer. Doch die Bemühungen waren vergebens. Denn allen Bestrebungen, sich als Kurort und Festspielstätte in die Wahrnehmung zu bringen, lief zuwider, dass sich die Insel für viele Touristen eben doch dadurch als Reiseziel lohnte, dass sich hier noch bis in die 2010er-Jahre zoll- und abgabenfrei einkaufen ließ.

Diesen Standortvorteil hat Helgoland inzwischen verloren. Was eine Butterfahrt ist, kennen die Kinder aus dem Norden heute nur noch vom Hörensagen. Gerade so, weiß der lokale Verwaltungsbeamte Hein Peters, habe man 2016 durchsetzen können, dass die europäische Gesundheitsgesetzgebung hier nur modifiziert Gültigkeit erlangt hat: Während überall in Europa der Konsum einer Filterzigarette in bebauter Umgebung bis zu 250 Euro Strafe koste, seien Raucher „auf Helgoland immer willkommen“, so Peters.

Ob auf der für ihre Luftqualität gerühmten Insel nicht noch mehr Übernachtungsgäste zu erwarten seien, wenn das anders wäre? „Spekulation“, sagt Peters, der sich selbst „nur dann und wann noch eine ansteckt“. Luftqualität und Gesundheitsvorsorge seien das eine, Toleranz sei das andere – und die Bettenauslastung überdies zufrieden stellend. Zumal seit Helgoland mit Hochleistungskatamaranen von Hamburg aus in zwei Stunden erreicht werde. Und die „Prager Gängelei“, findet der 62-Jährige, könne „doch auch krank“ machen. Und den „phänomenalen“ Blick vom Helgoländer Oberland aus, den würde das bisschen Qualm auch künftig nicht trüben können. „So viel“, sagt auch Tabakhändler Peer Antony, „kann ich beim besten Willen nicht verkaufen.“