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Archiv-Artikel

Barbara Dribbusch spricht mit Leistungsforscher Rolf Schnellroth

„Auf dem Testometer“

TAZ: Herr Schnellroth, bei VW Future II wird jetzt schon wieder über den Alterstarif 55 plus gestritten. Wie gerecht können Seniorentarife denn überhaupt sein?

ROLF SCHNELLROTH: Leider nie wirklich gerecht. Die Schwierigkeit bei VW Celle ist doch, dass die gesundheitlich Angeschlagenen die Gesamtleistung drücken. Gerade unter Älteren können die individuellen Unterschiede in der Produktivität ja ziemlich groß sein. Genau das ist das Problem all dieser Tarife.

Trotzdem gilt es als fairer, die 60-Jährigen nicht mehr so zu bezahlen wie die 35-Jährigen.

Da ist ja auch was dran. Wenn wir mal bedenken, dass noch vor 20 Jahren die Entgelte automatisch mit dem Lebensalter stiegen, so ist das heute gar nicht mehr vorstellbar. Trotzdem haben wir gerade in der Gruppenarbeit der Älteren besonders viele Mobbingfälle: Wer nicht mehr so richtig mitkann und daher die Teambilanz trübt, wird gerne rausgeekelt.

Vielleicht wäre es fairer, die individuelle Leistung exakter ermitteln zu können, um dann die Entgelte entsprechend zu staffeln.

Diesen Fall haben wir ja bereits in der Gastronomie, wo manche Wirte die BewerberInnen erst mal mit acht Maßkrügen auf dem Testometer laufen lassen, um zu sehen, wie fit sie noch sind. Entsprechend der Bewertung wird dann das Entgelt bemessen. Aber so etwas können Sie nicht mit allen Endfünfzigern machen. Es wirkt ja auch immer ein bisschen inhuman, wenn der Körper so durchgetestet wird.

In vielen Bereichen zählen vor allem starke Nerven, beispielsweise in Telefondiensten, in Fahrdiensten oder im Erziehungsbereich. Ist da die individuelle Leistung überhaupt feststellbar?

Da gibt es ein gutes Beispiel in den privaten Tag- und Nachtkitas. Der Kita-Dachverband hat ein Testverfahren für Bewerberinnen entwickeln lassen, das deren nervliche Belastbarkeit prüft. Die Erzieherinnen werden verkabelt in einen Simulationsraum gesetzt und 12 Stunden lang lautem Geschrei ausgesetzt, wobei sie selbst dann mit bestimmten Konfliktsituationen konfrontiert werden, in denen sie Kommandos geben, aber auch mal trösten und motivieren müssen. Es sind keineswegs vor allem die über 50-Jährigen, die da ausscheiden. Im Gegenteil: Manchen der Älteren hilft die Erfahrung im Berufsleben, während Berufsanfängerinnen mitunter schneller am Ende sind. Es ist also auch eine Typfrage.

Die Gewerkschaften, allen voran die IG Metall und Ver.di, sagen, dieser Trend zur Testerei sei absolut unmenschlich.

Die Kritik kann man nachvollziehen, aber die Älteren automatisch vom Jobmarkt auszuschließen, ist auch nicht human. Nehmen wir noch mal das Beispiel aus der Gastronomie: Die Wirte stellen Kellner über 55 wenigstens ein, weil sie denen weniger zahlen dürfen. Das ist immer noch besser, als wenn diejenigen, die ihren Job verlieren, auch keinen mehr finden. Die Probleme sehen wir heute: Die Schwarzarbeit der Alten ist ein gigantischer Schattenmarkt geworden und schädigt die Volkswirtschaft – und das nur, weil viele der über 55-Jährigen keinen regulären Job mehr kriegen.