Keule gegen die Käser

Die kleinen Käseproduzenten in Deutschland sind stocksauer. Ausgerechnet die Illustrierte „Der Feinschmecker“ ruft wegen angeblicher Hygienemängel zum Boykott bäuerlicher Betriebe und Kleinerzeuger auf

von MANFRED KRIENER

Es war nicht das Fachorgan für Lebensmittelhygiene oder die Hauszeitung für Mikrobenforscher. Auch nicht die deutsche Apothekerzeitung. Es war der Feinschmecker. In der Juniausgabe weist die Redaktion ihre Leser auf die Gefahren von Rohmilchkäse vom falschen Hersteller hin.

Im Fadenkreuz: kleine Erzeuger und bäuerliche Betriebe, die per Selbstvermarktung ab Hof oder auf Wochenmärkten ihre Ware anbieten. Solche „schwer zu kontrollierenden“ Kleinkäser seien zu meiden, dort bestehen „gesundheitliche Risiken“, so der von der Zeitschrift geladene Experte Prof. Walter Heeschen, Exleiter der Bundesanstalt für Milchforschung. Viermal warnte Heeschen unwidersprochen vor bäuerlichen Kleinbetrieben. Am Ende machte sich das Blatt Heeschens Position voll zu eigen. In einem Kasten („Käsetipps“) erklärt das Gourmetjournal: „Vorsicht beim Direktkauf bei kleinen bäuerlichen Erzeugern.“

Der durch nichts berechtigte Warnruf hat einen ganzen Berufszweig in Rage gebracht. Ambitionierte Käser, die mit großer Leidenschaft das Beste aus der Milch von Kuh, Schaf und Ziege herausholen, wurden pauschal zu Risikoproduzenten abgestempelt. Entsprechend harsch fielen die Reaktionen aus: In einem offenen Brief (siehe unten) rügen aufgebrachte Produzenten, Käseliebhaber, Köche und Affineure die Stigmatisierung. „Dünkel“ und „Unkenntnis der Produktionsbedingungen“ werfen sie der Redaktion vor.

Catherine André aus Neubachenbruch, deren Ziegencrottins zu den besten Rohmilchkäsen der Republik gehören, ist empört. Dasselbe Blatt, das ihren Käse unlängst hymnisch pries, erklärt den Hof jetzt zum Infektionsrisiko. André will ihre Feinschmecker-Urkunde, die das Hamburger Blatt verleiht, demonstrativ entsorgen.

Verständlich, sind es doch gerade die kleinen Erzeuger, die sich oft besonders engagieren. Sie haben in den letzten Jahren für den Aufschwung in der Käseproduktion hierzulande gesorgt. Auch in Frankreich oder Italien kommt Spitzenkäse in der Regel von kleineren Betrieben. Da wird eben nicht wie in der Großmolkerei die Milch von abertausenden von Kühen und hunderten von Betrieben zusammengeschüttet, um Massenware zu erzeugen.

Mit ihrem Käse setzen sich die Kleinerzeuger gekonnt vom langweiligen Industrieprodukt ab. Je kleiner die Produktion, desto größer die Chancen auf Individualität und Charakter. Singt einer seinen Kühen ein schöneres Schlaflied, führt er sein Vieh auf saftigere Weiden, dann lässt sich das im Käse herausschmecken. Doch auch in der Hygiene haben die Kleinen beste Voraussetzungen. Sie können jedes einzelne Tier beobachten, die Reifung ihrer Käse genau verfolgen, Krankheiten leichter erkennen.

Das müsste der Feinschmecker eigentlich wissen. Warum geriert sich das Blatt plötzlich als Infektionswächter? Gleich drei Hygieniker und Chemiker waren zur Diskussion über den Rohmilchkäse geladen. Die Runde erinnerte, gelinde formuliert, an einen Bakteriologenkongress.

Das Blatt, das sonst gerne den Dialog von Lachs- und Hechtklößchen sucht, hatte diesmal wenig Dialogisches zu bieten. Zu der Diskussion war kein Erzeuger eingeladen. Stattdessen monologisierte Professor Heeschen, der als ehemaliger Leiter des Kieler Amts berufsmäßig eng mit den Großmolkereien verbunden war. Heeschen warnte vor „Giftstoffe bildenden Kolibakterien“, vor Listerien und dem mikrobischen Ungemach der Kleinen. Die Redaktion beschränkte sich auf den Job des Stichwortgebers.

Aktueller Anlass der Gesprächsrunde: keiner! Aber man kann ja mal wieder ein altes Thema aufkochen, das immer wieder für Panik sorgt. Seit Jahren sind bei uns keine ernsthaften Probleme mit Rohmilchkäse bekannt geworden. Dafür starben in den letzten zehn Jahren tausende Menschen an Salmonellen. Dennoch ist die Rohmilch ein beliebter Grusler, während die Hühnerhaltung als Salmonellenschleuder tabuisiert bleibt.

Inzwischen hat der Aufstand der Kleinerzeuger die Hamburger Blattmacher erreicht, wo man zerknirscht den Schaden betrachtet. Unter Druck geraten, will man im nächsten Heft „eine Pro-und-Contra-Diskussion“ nachschieben. Das Thema sei „unglücklich behandelt“ und „schief dargestellt“ worden, erklärt die Redaktion.

Bei einer neuen Diskussionrunde könnte man – je nach Einladungspolitik – schnell zum gegenteiligen Ergebnis kommen. Hervé Robert, der französische Käseexperte etwa, hat wiederholt die bakteriellen Pauschalverdächtigungen gegen Rohmilchkäse ins Reich der Legende verwiesen und die Diskussion auf die realen Tatbestände zurückgeführt.

Er schreibt: „Es ist nie bewiesen worden, dass das Listerioserisiko von Rohmilchkäsen ausgeht.“ Bei der letzten großen Epidemie von 1992, die 63 Tote forderte, habe man zweitausend Molkereien untersucht. Doch am Ende sei eine Schweinezunge in Gelee als Bakterienherd identifiziert worden.

Bei einer weiteren Epidemie im Jahre 1987 sei ein Schweizer Vacherin als Ursache entdeckt worden. Doch dieser Käse war thermisiert, also erhitzt worden. Bei der Pasteurisierung wird die Milch bis zu dreißig Minuten auf 72 Grad erhitzt, bei der Thermisierung in etwas kürzerer Zeit auf 65 Grad. Dadurch werden die Bakterien zwar abgetötet, aber leider auch die guten. Die freundlichen Bakterien zerstören bei der Reifung des Käses die pathogenen Keime, vor allem die Listerien. Auch aus diesem Grund sind Rohmilchkäse sicher.

Pasteurisierte Milch oder Käse können nach der Erhitzung wieder neu mit schädlichen Bakterien befallen werden, weshalb sie hygienisch keinen Vorteil bieten. Die beste Methode, um auf Nummer sicher zu gehen: die Rinde abschneiden, wo die Bakterien siedeln. Das machen Käseliebhaber sowieso.

MANFRED KRIENER, 49, ehemals taz-Redakteur, freier Journalist in Berlin und Chefredakteur des Slow-Food -Magazins, betreut seit sechs Jahren die Sättigungsbeilage im taz.mag