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Archiv-Artikel

Vom „Kuli“ zum „Schneetiger“

Ohne die Sherpas des Himalayas wären die frühen Bergexpeditionen undenkbar gewesen. Jonathan Neales hat ein gründlich recherchiertes Buch über den Bergtourismus und die Klassenunterschiede am Himalaya geschrieben.

In den Achtzigerjahren sprachen berühmte Bergsteiger auf einer Veranstaltung im Himalayan Mountaineering Institute in Darjeeling über ihre großen Leistungen. Irgendwann kamen aus dem Publikum Rufe: „Ohne die Sherpas hättet ihr das nie erreicht! Wir haben die Lasten getragen!“ Einer der Rufer war Ang Tsering, der letzte überlebende Mann der deutschen Bergexpedition zum Nanga Parbat von 1934.

Ein anderer Sherpa, Tensing Norgay, erkletterte zusammen mit dem Neuseeländer Edmund Hillary bei einer britischen Expedition vor fünfzig Jahren den Mount Everest. Als Erste standen sie auf dem höchsten Gipfel der Erde. Tensing gründete das Mountaineering Institute, das Generationen einheimischer Bergsteiger ausbildete.

Hillary gehörte zu den wenigen, die in den Sherpas Partner sahen. Den meisten Europäern galten sie als Kinder, abergläubisch, unvernünftig, geboren zum Lastentragen und Klettern – und das barfuß und schlecht ernährt. Hier setzt Jonathan Neales spannendes, gründlich recherchiertes Buch an. Nach vielen Interviews mit Sherpas entwickelt er eine Geschichte, in der er zeigt, wie unerfahrene „Kulis“ zu „Schneetigern“ wurden.

Armut zwang Sherpas, sich als Träger zu verdingen. Bis zu 35 Kilo schleppten sie über die Pässe des Nangpa La in Höhen von über 5.000 Metern. Als die Sahibs, die weißen Bergsteiger, kamen und ihnen den fünffachen Lohn boten, sahen einige darin eine Möglichkeit, ihr Leben etwas zu verbessern.

Der britische Sozialist George Mallory machte sich 1922 mit zwölf Sahibs und einhundert Tal- und Hochträgern zur ersten großen Mount-Everest-Expedition auf. Die „Bergbelagerung“ erforderte, sich vom Basislager aus über Zwischenlager bis unterhalb des Gipfels hochzuarbeiten. Nicht weit oberhalb von Lager II wurden sieben Sherpas unter einer Lawine begraben. Sir Francis Younghusband, der Ausstatter der Expedition, schrieb damals: „Gott sei Dank ging kein europäisches Leben dabei zugrunde.“

Im Mittelpunkt von „Schneetiger“ steht jedoch die Expedition, die Nazi-Deutschland, um der Welt seine Überlegenheit zu beweisen, zum Nanga Parbat schickte. Der Erfolgsdruck, unter dem die Beteiligten standen, mangelnde Kenntnis der Höhenkrankheit und schließlich ein Hurrican mündeten in eine Katastrophe. Ang Tsering gehörte zu den Sherpas, die Erwin Schneider und Peter Aschenbrenner auf über 7.000 Meter Höhe allein ließen, um sich selbst zu retten. Sieben Tage kämpften die Träger sich den Berg hinunter, ohne Nahrung, ohne Zelte. Ang Tserings erfrorene Zehen mussten amputiert werden. Pasang Phutar erhielt zehn Rupien Schadenersatz für jeden verlorenen Finger.

Erst die Schweizer Bauernsöhne aus den Alpen, berufsmäßige Bergführer, brachten in den Fünfzigerjahren ein anderes Verständnis für die Sherpas mit. Von den Schweizern erhielten sie die gleiche Ausrüstung, die diese trugen. Und für Lionel Terray aus Chamonix war klar, dass ein Bergsteiger in der Lage sein sollte, sein Gepäck selbst zu tragen: „Wir sind genauso gut wie die Sherpas.“ ROSEMARIE NÜNNING

Jonathan Neale: „Schneetiger. Sherpas: Die wahren Bezwinger des Himalaya“. Aus dem Amerikanischen von Jerry Hofer, Goldmann Verlag, München 2003, 411 Seiten, 11 €