Fragwürdige Traditionspflege

Beim jährlichen Gebirgsjägertreffen in Mittenwald werden Kriegsverbrechen ignoriert

NÜRNBERG taz ■ Nach mehr als 50 Jahren ist mit der Ruhe Schluss. Jahrzehntelang trafen sich die Veteranen der Gebirgsjäger im bayerischen Mittenwald an Pfingsten unbehelligt zur größten deutschen Soldatenfeier, obwohl sich die Truppe im Zweiten Weltkrieg schwerer Kriegsverbrechen schuldig gemacht hat. Nach ersten Protesten im vergangenen Jahr wollen der „Arbeitskreis Angreifbare Traditionspflege“ und die „Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes“ (VVN) die ehemaligen Wehrmachtsangehörigen an diesem Wochenende erneut mit den Gräueltaten der Gebirgsjäger konfrontieren.

Nicht nur die fragwürdige Traditionspflege der Bundeswehr, die jedes Jahr einen Redner und einen Kranz nach Mittenwald schickt, prangern die VeranstalterInnen an. Mit ihren Aktionen wollen sie auch den politischen Druck auf die Justiz erhöhen. Vor zwei Jahren hat die Dortmunder Staatsanwaltschaft die Ermittlungen wegen der Tötung von über 4.000 italienischen Soldaten auf der nordgriechischen Insel Kephalonia im September 1943 wieder aufgenommen. Insgesamt sind an mehr als 50 Orten Verbrechen deutscher Gebirgsjägereinheiten belegt.

Schon letztes Jahr hatten AktivistInnen dem Kameradentreffen in Mittenwald einen Besuch abgestattet und versucht, eine Gedenkminute für die Opfer abzuhalten. Doch die alten Kameraden gingen mit Stühlen auf die unerwünschten Gäste los. Dieses Jahr war zunächst alles anders. „Sie haben Kreide gefressen“, sagte Stephan Stracke vom „Arbeitskreis“ noch vor drei Wochen. Für ein öffentliches Hearing mit Überlebenden der Massaker, WiderstandskämpferInnen und HistorikerInnen habe man sogar „die schönste Halle von Mittenwald anmieten können“. Doch inzwischen bröckelt die Gelassenheit. Die Polizei jedenfalls hat schon Verstärkung für das Wochenende nach Mittenwald beordert. MAIKE DIMAR