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Archiv-Artikel

„Selbstständigkeit überfordert Joblose“

Immer mehr Ich-AGs werden wieder abgemeldet. Sie sind die falsche Beschäftigungsform, sagt Soziologe Günter Voß

taz: Schon jeder zehnte Gründer einer Ich-AG hat sich inzwischen wieder beim Arbeitsamt abgemeldet. Ist die Selbstständigkeit für viele Arbeitslose doch nicht die erhoffte Jobchance, wie von der Politik verkündet?

Günter Voß: Diese Ich-AGs wurden oft im Dienstleistungssektor gegründet. Da gibt es aber schon die Konkurrenz der Großunternehmen, beispielsweise bei den Reinigungsdiensten. Und dann suchten sich viele Ich-AGler eine Nische …

beispielsweise als Industriekletterer oder Hundesausführer …

… diese Nischen sind aber nun mal begrenzt, wie der Begriff „Nische“ schon sagt. Und in Zeiten schwacher Konjunktur fehlt auch die private Kaufkraft, um beispielsweise solche Dienste nachfragen zu können.

Viele dieser Gründer waren ja Unternehmer aus Not. Die Leute waren vielleicht gar nicht geeignet für Selbstständigkeit.

Die Idee, gerade die Gruppe der Dauerarbeitslosen in die Selbstständigkeit zu bringen, manchmal auch zu zwingen, geht in der Tat an den Menschen vorbei. Denn das sind doch oft eher Personen, die eigentlich eine Versorgung suchen, eine Beschäftigung – und die gar nicht so sehr belastungsresistent und hoch innovativ sind.

Es gibt aber auch Menschen, die einfach in Teams, in Hierarchien und klaren Strukturen besser funktionieren, als wenn man sie in die Einzelkämpferrolle zwingt. Ist das erzwungene Unternehmertum, politisch gesehen, nicht auch eine gigantische Verschwendung von Kraft und Nerven?

Das Unternehmertum aus Not hat in der Tat nichts mehr mit dem Unternehmer zu tun, den die Politik da immer so vorstellt, mit Kreativität, Innovationskraft und Risikofreude. Wir haben beispielsweise Ausfahrer von Pizzen oder Tiefkühlkost befragt und sind dabei oft auf tragische Existenzen gestoßen, die immer am Rande der persönlichen und ökonomischen Überforderung arbeiteten. Ein Großteil der Berufstätigen sucht einen gesicherten Arbeitsplatz und Anbindung, gerade auch Leute, die Familie haben.

In Großbritannien ist der Anteil der Selbstständigen seit kurzem wieder rückläufig. Wird das in Deutschland auch so sein?

Das ist schwer zu sagen. Deutschland liegt ja mit einer Quote von 10 Prozent Selbstständigen unter dem EU-Durchschnitt. In den 50er-Jahren waren hierzulande 15 Prozent der Erwerbstätigen selbstständig. Tatsache ist aber, dass sich hinter dem Begriff „selbstständig“ künftig sehr unterschiedliche Existenzen und Schicksale verbergen werden, von den Jungen, Belastungsbereiten bis hin zu den Kleinunternehmern, die einfach keine Alternative mehr haben.

INTERVIEW: BARBARA DRIBBUSCH