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Archiv-Artikel

Gedenken exklusiv für Gebirgsjäger

Wenn die deutschen Gebirgstruppen ihrer Tradition gedenken, dann geht es nur um die Gefallenen. Die Kriegsverbrechen und die Opfer der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg werden ausgeklammert. Jeder weiß es, keiner redet darüber – bis heute

aus Mittenwald JÖRG SCHALLENBERG

Es ist so, wie es hier immer war am Pfingstsonntag, seit 46 Jahren. Und doch ist alles anders. Fassungslos schauen gerade die älteren Teilnehmer drein und sagen immer wieder Sätze wie „Das haben wir doch nicht verdient.“ Manche sagen auch Deftigeres, Wütenderes, Brutaleres, das oft mit dem Wort „früher“ anfängt.

Seit 46 Jahren treffen sich ehemalige Gebirgsjäger der Wehrmacht und der Bundeswehr am Hohen Brendten, in 1.138 Meter Höhe über Mittenwald, ein paar Kilometer südöstlich von Garmisch-Partenkirchen gelegen, um auf einer Bergwiese eine Gedenkfeier mitsamt Gottesdienst abzuhalten. Im Hintergrund stehen zwei hohe Steintürme und ein Kreuz – das Ehrenmal der deutschen Gebirgstruppen. Zeitweilig handelte es bei diesem Gedenken um Deutschlands größte Soldatenfeier mit bis zu 6.000 Teilnehmern.

In diesem Jahr mögen es an die 1.500 Uniformierte, Trachtler und Zivilisten sein, die sich die steile Strecke vom Parkplatz Luttensee bis zum Ehrenmal hochmühen – oder sich, je nach Rang und Wichtigkeit, vom Fahrdienst der Bundeswehr chauffieren lassen. Auf dem Weg aber müssen alle ein paar hundert Demonstranten passieren, die ihnen Worte wie „Mörder“ und „Kriegsverbrecher“ zurufen. Oben am Hohen Brendten muss ein Teil des Ehrenmals mit einer grünen Plane abgedeckt werden, weil Unbekannte Parolen wie „Gegen die Traditionspflege der Gebirgsjäger“ in schwarzen Lettern hinterlassen haben – und die Namen zweier griechischer Ortschaften: Distemo und Kommeno.

Dort haben Gebirgsjäger im Zweiten Weltkrieg Massaker an Zivilisten begangen. Ein weiterer Name steht nicht auf den Ehrenmal: Kephallenia. Jene griechische Insel, auf der deutsche Gebirgsjäger im September 1943 über 4.000 italienische Kriegsgefangene ermordeten. Seit kurzem wird deshalb gegen deutsche Veteranen ermittelt.

Davon spricht der Brigadegeneral a. D. Ernst Acqui nicht. Er ist der Präsident des Kameradenvereins der Gebirgstruppen, die das Treffen organisieren. Acqui beginnt mit einem Wort des griechischen Philosophen Themistokles: „Die Kulturhöhe eines Volkes erkennt man daran, wie es mit seinen Gefallenen umgeht.“ Das schließt immerhin die Soldaten anderer Länder mit ein. Die Flaggen der USA, Italiens, Frankreichs, der Schweiz oder Sloweniens wehen über dem Ehrenmal. Nur von jenen, die durch Verbrechen der deutschen Gebirgsjäger umgekommen sind, hört man bei Acqui nichts.

Lediglich ein CSU-Landrat und ein Pfarrer sprechen später von „Kriegsverbrechen“ und „Massakern“, ohne konkret zu werden. Doch selbst das ist dem Brigadegeneral a. D. zu viel. Nach der Veranstaltung ärgert er sich darüber, „wen die Pfarrer alles erwähnt haben. Ich bin dagegen, dass so ein Allgemeingedenken stattfindet. Ich persönlich sehe diese Veranstaltung speziell für unsere toten Gebirgsjäger.“ Vielleicht noch für „die Toten der Wehrmacht und der Bundeswehr und der gefallenen Gegner“. Für alle anderen sei es, sagt Ernst Acqui, „der falsche Ort und der falsche Zeitpunkt“.

Aber was könnte idealer für ein öffentliches Zeichen passen als eine Gedenkfeier, die jene Gebirgsjäger der Wehrmacht einschließt, die Kriegsverbrechen begangen haben? Zumal der stellvertretende Vorsitzende der Kameradschaft, der ehemalige Bundeswehr-Oberstleutnant Hans Behringer, alle Vorwürfe einräumt und gern erwähnt, dass „unser Verband wissenschaftliche Forschungsarbeiten unterstützt, die sich mit Kephallenia beschäftigen. Die Ergebnisse sind zum Teil brutal.“

Bei der Bundeswehr, die neben vielen anderen an diesem Tag Kränze am Ehrenmal niederlegt, distanziert man mittlerweile leicht von dieser Art des Gedenkens: Das sei ausschließlich eine „private Veranstaltung“, heißt es beim zuständigen Wehrbereichskommando IV in München. Dann betont der Pressesprecher die eigene Tradition und fordert eine kritische Reflektion der Vergangenheit.

Davon will Ernst Acqui nichts wissen. „Auf allen Seiten sind Kriegsverbrechen passiert“ ist das Äußerste, was er zugestehen kann. Da ist er nicht der Einzige. So gern von vielen Besuchern auf dem Hohen Brendten die Einbindung der Bundeswehr in das Grundgesetz betont wird, so wenig mag man das verbrecherisches System, dem die Wehrmacht diente, thematisieren. Dann dreht sich das Gespräch nur noch um soldatische Werte, losgelöst von Zeit und Raum. Bis einen die Gegenwart wieder einholt. Nach der Feier wird der taz-Reporter – von einem Zivilisten – als „dreckiges Kommunistenschwein“ beschimpft. Sicher ein Einzelfall. Oder ist doch alles bloß so wie immer?