berlin buch boom : Sinnkrise eines Killers: Buddy Giovinazzos Berlin-Krimi „Potsdamer Platz“
Bandenkriege gegen Depression und Langeweile
Buddy Giovinazzo ist ein schöner, einprägsamer Name. Der US-Autor und Filmemacher ist Anfang 40, lebt zwischen Los Angeles und Berlin, führt ab und zu Regie in Filmen wie dem „Polizeiruf 110“ und schreibt harte Krimis, die auf Deutsch allesamt in der sehr schön gestalteten Taschenbuchreihe „Pulp Master“ im Berliner Maas-Vrlag erschienen sind. Die Reihe ist eine Referenz an die Pulp-Magazine und Paperback-Originalausgaben der 30er-, 40er- und 50er-Jahre, in denen große amerikanische Realisten wie Raymond Chandler, Dashiell Hammett, Burroughs und Kerouac ihre Geschichten veröffentlicht haben.
„Potsdamer Platz“, das dritte Buch von Buddy Giovinazzo, setzt „neue Maßstäbe in punkto Action, Pace & Brutality“, heißt es im Klappentext. Mafiosi kommen aus den USA, um türkischen Kollegen im Kampf gegen die russische Mafia behilflich zu sein. Sie verfolgen dabei natürlich ihre eigenen Interessen. Es geht um die Kontrolle der Baustelle am Potsdamer Platz, die im Roman bedeutender wirkt als in Wirklichkeit.
In schnelllebigen Koalitionen bekämpfen die Gangster einander und sind dabei nicht zimperlich. Smarte deutsche Päderasten, harte Burschen mit abgeschnittener Hand, Schmerzspezialisten und krasse Psychos sind auch dabei. Hardy etwa, der Partner von Tony, dem Ich-Erzähler, improvisiert gerne, lässt sich hinreißen, schneidet seiner Gespielin beim Liebesspiel auch schon mal die Brustwarzen ab, die seinen Kumpel dann im weißen Waschbecken begrüßen, wenn er nach Hause kommt und sich die Zähne putzen will. Die Gegenseite hängt Gegner – wie in Hannibal oder dem Texas Chainsaw Massacre – an Fleischerhaken auf, lässt sie ausbluten und bemalt mit ihrem Blut die berlinüblich hohen Wände. Die „kolumbianische Krawatte“ zu binden – den Hals des Gegners im Kampf um die Märkte zunächst aufzuschlitzen und dann die Zunge durch den Schnitt zu ziehen – ist „keine leichte Aufgabe“, aber eine große Herausforderung. Die ausufernde Gewalt ist grell, plakativ, fast jahrmarktshaft und seltsamerweise auch tröstlich zu lesen, wenn man unglücklich ist.
Es geht aber nicht nur um Bandenkriege, von denen zu lesen immer dann besonders viel Spaß macht, wenn das ja eigentlich so leicht depressiv, verschlafen und ereignisarm wirkende Berlin der Ort des Geschehens ist; es geht vor allem um Tony, den jungen aufstrebenden Auftragskiller, der seine blutigen Jobs kontrolliert, wenn auch stets unter harten Beruhigungstabletten, auszuführen pflegt und seine Verwandlung. Der harte Killer mit der klassisch krassen Vergangenheit beginnt in Berlin am Sinn seiner Arbeit zu zweifeln; entwickelt Gefühle, ohne jetzt gleich moralisch zu werden, verliebt sich in eine Medizinstudentin und ehemalige Junkiefrau aus dem Osten, lebt in Kreuzberg, treibt sich in Mitte-Clubs herum, isst gerne Haschplätzchen. Einerseits ist sein Blick auf die Stadt recht oberflächlich und reich an zuweilen aber auch wieder lustig überzogenen Klischees (über Marzahner Neonazis oder „die Türken“), andererseits stellt er die Qualitäten Berlins heraus; die melancholische Langsamkeit, die Möglichkeit, noch halbwegs anständig am Rand der Gesellschaft zu leben, die es sonst in keiner anderen westlichen Großstadt gibt.
Stilistisch liest sich das Buch wie ein Film mit harten Schnitten, atmosphärisch erinnert der Roman ein wenig an die „Sopranos“ und Leonard Cohen, der ja das Eingangslied für die wunderbare amerikanische Mafia-Serie, die in Deutschland nicht richtig ankam, und auch den schönen Song für „Natural born killers“ gemacht hatte. Im Prinzip gibt es nur eine wirkliche, ein wenig ärgerliche Schwachstelle; nämlich die zeitliche Einordnung. Einerseits wird am Potsdamer Platz noch gebaut; andererseits hat es sich der Autor nicht verkneifen können, ab und an den elften September reinzunehmen.
DETLEF KUHLBRODT
Buddy Giovinazzo: „Potsdamer Platz“; Maas-Verlag, Berlin 2003, 411 S., 13.80 €