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Die Wertversteigerung

Bei Grundstücksauktionen kommen Pflegeheime, Garagenzeilen, Waldflecken oder Landschlösser unter den Hammer. Und manchmal auch eine Streuobstwiese in Brandenburg. Eine Beobachtung der manchmal seltsamen Bewegungen am Markt

VON JOHANNES GERNERT

Der Markt ist bekanntermaßen jener ominöse Ort, an dem sich Angebot und Nachfrage treffen. Im brandenburgischen Groß Behnitz findet dieses Zusammentreffen direkt vor Christian Hoppes Gartenzaun statt. Das Angebot ist eine Streuobstwiese mit einer Scheune darauf. Die Nachfrage, das sind die Leute, die plötzlich alle angefahren kommen, um diese Wiese anzusehen. Bestimmt 30 Autos waren täglich da. Die Insassen sind ausgestiegen, über das Grundstück spaziert, haben die Obstbäume inspiziert, und die ganz Mutigen haben sich in das Holzgerippe gewagt – auf die Gefahr hin, dass ihnen ein Ziegel auf den Kopf fällt, oder ein loser Balken. Die Scheune steht nicht mehr ganz gerade. Durchs Dach schauen große Stücke des blauen Himmels. Im Innern wächst meterhohes Gestrüpp den letzten Ziegeln entgegen.

Nach der Inspektion sind die Leute oft vor Christian Hoppes grünem Maschendrahtzaun stehen geblieben und haben sich ein bisschen erkundigt über die Wiese. Er konnte einiges erzählen, weil er schließlich ihr Nachbar ist, vor allem aber, weil er sich vor ein paar Jahren auch einmal für das Flurstück 24 am Schusterweg 30 interessiert hatte. Er wollte ein Haus darauf bauen. Nun liegt die Wiese aber im so genannten Außenbereich. Deshalb hätte sie erst erschlossen werden müssen mit Stromleitungen und Wasseranschluss. Das wäre alles etwas teuer geworden. Also hat Hoppe sich entschieden, gegenüber zu bauen. Auf der anderen Seite des Feldwegs, die noch nicht als Außenbereich gilt. Weil die irgendwie „direkter am Ort noch dranne“ ist, sagt er. „Ich sach ma, die Gesetze sind so.“

Und jetzt soll die Wiese offenbar versteigert werden. Das haben die Nachfrager gesagt. Meistens kamen die aus Berlin. Einige wollen wohl Schafe oder Pferde hier weiden lassen. Andere ein eigenes Ausflugsziel für eine Fahrt ins Grüne haben.

Im Katalog der Deutschen Grundstücksauktionen AG steht die Wiese auf Position 281. Das Mindestgebot – in Klammern: Auktionslimit – beträgt 1.000 Euro. Viermal im Jahr lädt das Unternehmen in einen Saal im Rathaus Schöneberg, um ehemalige Altenpflegeheime, verlassene Garagenzeilen, Waldflecken oder Landschlösser an den Meistbietenden abzugeben. Diesmal ergeben alle Mindestangebote zusammengerechnet gut 12 Millionen Euro. „Da ist alles dabei, von der kleinen Wiese für 500 Euro bis zum Mietshaus in Kreuzberg für 750.000 Euro“, sagt Gerd Fleischmann, einer der Auktionatoren. Warum man versteigert statt zu verkaufen? „Um maximalen Erlös zu erzielen, um das zu erzielen, was am Markt zu erzielen ist.“ Wenn die Veranstaltung zu Ende ist, wird man sehen, „ob wir uns richtig am Markt bewegen oder falsch am Markt bewegen“, sagt er. Ob das Mindestgebot also Käufer angelockt hat oder nicht.

Manchmal geschehen ganz merkwürdige Dinge – auf dem Markt. Es gab einmal ein Grundstück aus Mecklenburg-Vorpommern für 75.000 Mark. Beim ersten Mal sei es „durchgefallen“, erzählt Fleischmann. Wollte keiner haben. Und er wollte es auch nicht mehr anbieten.

Kleiner Preis lockt Bieter

Aber die Erbengemeinschaft, der das Grundstück gehörte, ließ ihm keine Ruhe. Für 50.000 Mark hat beim nächsten Mal auch keiner geboten. Dann aber, als es bei läppischen 5.000 Mark losging, stieg der Preis immer höher. „Wir sind am Ende bei 90.000 rausgekommen“, sagt er. So ist das mit dem Markt. Er kennt vor allem eine Grundregel: „Über den Preis“, schließt Fleischmann aus der Episode, „lässt sich bekanntlich alles verkaufen.“

Man muss dann für die Sachen selbst nicht groß Werbung machen, wenn der Preis verlockend genug ist. Man kann auch die Wahrheit sagen darüber, ungeschönt, über all die Schwämme und Pilze, den bröckelnden Putz an den Außenwänden, die fehlenden Ziegel auf dem Dach. Wenn es den Tatsachen entspricht, wird ein Objekt dargeboten in seiner ganzen erbarmungswürdigen Sanierungsbedürftigkeit. In der Kurzcharakteristik aus dem Katalog steht in solchen Fällen lediglich „sanierungsbedürftiger Zustand“, was besonders bei Brandenburger Gebäuden oft der Fall zu sein scheint. Vom goldumrandeten Pult im Schöneberger Rathaus herunter aber werden sämtliche Details verlesen, bevor nach dem ersten Gebot der Hammer zu fallen beginnt. Bisweilen klingt das wie ein schauriger Obduktionsbericht.

Wenn sich die Hände heben im Saal und die Zurufe kommen von den Damen an den Telefonen, die links und rechts vom Pult sitzen, beginnt der Auktionator meditativ-mechanisch eine Zahlensuada vor sich hin zu schnarren. Es gibt dann nur noch Damen, Herren und Gebote. Und die Verortung der Damen und Herren im Raum. Der Herr rechts außen beispielsweise bietet 46.000 Euro für das verwaiste Waisenhaus, 46.000 sind vom Herrn rechts außen geboten, bietet irgendjemand mehr als 46.000 Euro, die sind vom Herrn rechts außen geboten. Alle Köpfe drehen sich zum Herrn rechts außen. Plötzlich die Wendung. 46.500 Euro von der Dame am Telefon, zum ersten, die Dame am Telefon bietet 46.500 Euro. Und so weiter. Bis der Hammer zum dritten Mal fällt.

„Sind wir weg, ne“, sagt der Herr rechts außen zu seinem Handy und verlässt den Saal, um draußen im Vorraum, wo es die Würstchen gibt, den Ausverkauf des Ostens zu verurteilen, wie er hier gerade stattfinde. „Systematisch hat der Westen den Osten platt gemacht“, sagt er. „Da kommen diese Wahnsinnigen und kaufen alles auf.“ Vor einigen Jahren seien ganze Dresdner Straßenzüge versteigert worden. Da wundere sich noch einer, wenn die Leute hier im Saal ausrasten. Betroffene. Die ihr Land verlieren. Sei auch schon vorgekommen. „Die mussten rausgebracht werden von den Sicherheitsdienstlern“, sagt er. Aber er habe ja selbst mitgeboten heute – als Privatier. Schuldig im Sinne der eigenen Anklage.

Die Streuobstwiese vor Christian Hoppes Haus war auch einmal eine volkseigene. Nach der Wende hat sich die Treuhand darum gekümmert. Später die BVVG. Die Bodenverwertungs- und -verwaltungs GmbH betreibt eine Art Wald- und Wiesenhandel mit viel ehemals Volkseigenem. Die Groß Behnitzer Wiese stand eine ganze Weile im Internet. Weil sie niemand wollte, wird sie nun von der Grundstücksauktionen AG versteigert.

Ein Biotop für den Opa

Bevor es so weit ist, legt ein Vollbärtiger mit blauer Arbeitshose noch eine Serie hin und räumt die Positionen 273 bis 277 ab. Alles Brandenburger Forst, Wald oder Mischwald. Für seinen Sohn, sagt er der Mitarbeiterin, die mit dem Vertrag an seinen Platz kommt. Manchmal werden auch Geschenke ersteigert. „Ein Feuchtbiotop für den Opa zum Fünfundachtzigsten“ war das Kurioseste, was Auktionator Fleischmann bisher unter den Hammer gekommen ist.

Die Groß Behnitzer Obstbäume sind fast schon für 3.400 Euro an die Dame in der vorletzten Reihe links gegangen, die Auktionatorin will gerade „zum Dritten“ sagen, aber kurz vorher wird es noch einmal spannend und ein Pärchen steigt ein, vertreten durch den Herrn vor der Dame in der vorletzten Reihe. So liefern sich der Herr davor und die Dame dahinter noch einen kurzen Showdown, bis die Dame die Wiese bekommt. Sie möchte eine Spielwiese daraus machen für ihre Kinder, „weil die Kinder so klein sind“, erzählt sie. Die Familie wohnt in Berlin. Am Wochenende wollen sie rausfahren – in den Obstgarten.

„Ist ja schön für die Kinder“, sagt ein junger Mann nur ein bisschen ironisch, als er das hört, „das freut mich ja.“ Er ist Gärtner. Er hätte den Obstgarten gerne mit einem Freund gepflegt. Schöne alte Sorten wachsen dort. Aber gut. Das mit der Spielwiese will er nicht so recht glauben. Wenn man mal mit dem Bürgermeister spreche, könne man aus dem Außenbereich bestimmt Bauland machen. Ein lukratives Fleckchen für einen Neubau. Obwohl der Preis durch die Auktion deutlich gestiegen sei. 2.500 Euro wollte die BVVG ursprünglich für ihre Streuobstwiese. Nun sind daraus 4.200 Euro geworden. Aber so ist das, wenn sich Angebot und Nachfrage draußen in Groß Behnitz vor Christian Hoppes Gartenzaun treffen.

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