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Archiv-Artikel

Schmutz und Energie

Außergewöhnlich selbstvergessen: Karen O, die sehnige Sängerin des Brooklyner Trios Yeah Yeah Yeahs, gibt die weibliche Wildheit im Knaack

Karen O macht Hoffnung, dass die Zukunft des Rock ’n’ Roll weiblich ist

von KERSTIN GRETHER

Die Zukunft des Rock ’n’ Roll spielt sich derzeit mal wieder in der Gegenwart ab. Die Zukunft des Rock ’n’ Roll beginnt mit „t“, endet mit „s“ und beherrscht auch ansonsten das kurze, lange Alphabet des Drei-Akkord-Bluesrocks. Die Zukunft kommt in Form smarter New Yorker Twentysomethings mit Pagenkopf oder hochgestellten Gel-Frisuren, die sich The Strokes, The Hives, The Libertines, The White Stripes nennen – und so aussehen, wie sie klingen: als habe sich über Nacht rein zufällig dieser zersauste Haarschnitt ergeben. Die Rock-Community atmet auf: Das Monster Rockmusik lässt sich auf Dauer also doch nicht ins praktische Nu-Metal-Teenager-Format einsperren.

Und was ist mit den Frauen? Frauen, so scheint es, sind nicht gerade der Dreh- und Angelpunkt dieses natürlichsten Hypes, seit es Rockmusik gibt. Selbst Meg White, die viel beachtete White-Stripes-Schlagzeugerin, kommt mit ihrem dösigen Dauerschweigen und dem geradezu obszön-perfekten Körper mehr wie ein normales als wie ein Role Model rüber. Fast könnte man meinen, die Chicks-im-Rock gäben sich mal wieder mit den üblichen Zurschaustellung von Körper oder Zuschauerraum zufrieden, wenn, ja, wenn da Karen O nicht wäre. Die sehnige Sängerin des Brooklyner Trios Yeah Yeah Yeahs löst das beruhigende Gefühl aus, als würde hier nicht nur die Zukunft des Rock ’n’ Roll, sondern auch die Zukunft der modernen Frauen verhandelt.

Im Frühjahr dieses Jahres haben die Garagenrocker ihr Debüt-Album „Fever to tell“ veröffentlicht – und es klingt wirklich so, als hätten sie vom Fieber zu erzählen. Sie befinden sich anscheinend dauerhaft in einem anderen Zustand als der Rest der Menschheit: auf der Stelle möchte man auch so draufkommen. So durchdrungen von positiver Aggressions-Energie, die aber immer schon übergeschnappt und over-the-top bei Spaß, Geilheit und In-die-Luft-Springen-Vor-Freude angekommen ist. Die Art von Musik, die einem klarmacht, dass der Teufel die Rockmusik eigentlich für beide Geschlechter erfunden hat.

Karen O hat sich die Zukunft weiblicher Wildheit ins Gesicht geschmiert – sie nimmt es nicht so dezent mit dem Auftragen des Lippenstifts. Und sie verbreitet auch mehr Sexualität als die meisten anderen sexy Sängerinnen, denn sie macht so tolle Dinge mit ihrer Stimme. Kickst Lustschreie, überspannt Spannungen, irgendwo zwischen come-on and cum-shot.

Wenn Pop das ist, was die Welt von ihrer Last erlöst, dann sind die Yeah Yeah Yeahs auch Pop. Denn sie scheinen ihre Zuhörer von der angestrengten Pseudo-Sexiness des modernen PopRocks erlösen zu wollen. Die männlich gebaute Sängerin mit dem Pagenschnitt – äußerlich eine Doppelgängerin von Viva-Moderatorin Charlotte Roche – klingt nach Sex unter der Dusche. Aber sie klingt auch nach einem billigen Parfüm – all over the body versprüht. Sie singt so außergewöhnlich selbstvergessen, als dürfte sie nicht genauer darüber nachdenken, was sie da tut. Schmutz und Glamour fügt sich genau andersherum zusammen als beim hitparadentauglichen R&B. Sex nicht als: „Ich-hab-trainiert-belohn-mich-dafür“-Ding, sondern als Energie, mit der man durchs Leben kommt – und der Glamour-Effekt stellt sich dann von alleine ein – was natürlich auch eine Illusion ist, aber zur Abwechslung mal die Illusion des Spontanen.

Wie man hört, spuckt Karen O bei ihren Gigs auf die Bühne oder tanzt wie besessen. Dabei hat sie natürlich weder den Rock ’n’ Roll noch das Weihwasser neu erfunden: die Traditionslinie reicht von der knochigen Patti Smith, die in den Siebzigern das Weibliche als Poetry Slam des Androgynen inszenierte, über den Porno-Blues der Cramps in den Achtzigern bis hin zur überdosierten sexuellen Selbstinszenierung von Boss Hoggs’ Christina. Trotzdem ändern diese paar Frauen ja nichts daran, dass wir in einer Kultur leben, in der Frauen beigebracht wird, Kontrollverlust als Schande zu empfinden.

So macht Karen O Hoffnung, dass die Zukunft des Rock ’n’ Roll vielleicht doch weiblich ist. Und wenn nicht, dann kann man sich heute Abend im Columbia Fritz immerhin an dieser Ausnahmeerscheinung freuen, die so singt, als müsse sie, um zu lächeln, erst mal unordentlich Aggressionen ablassen.

Heute, 20 Uhr, Knaack, Greifswalder Str. 224, Prenzlauer Berg