: Das aufregende null zu null
Fast wäre Turbine Potsdam die Wachablösung im Frauenfußball gelungen. Doch ihr Tor in der Nachspielzeit wurde nicht anerkannt. Potsdam wurde zum dritten Mal nur Zweiter. Meister ist erneut das erfolgsverwöhnte Team des 1. FFC Frankfurt
von MATTHIAS WOLF
Eine Reporterin erwies sich als nicht besonders sensibel. „Sind Sie traurig?“, fragte sie Ariane Hingst. Die Nationalspielerin von Turbine Potsdam hob den Kopf, die Tränen in ihren Augen wurden sichtbar: „Muss ich darauf antworten?“ Alles war klar in diesem Moment, als der Jubel der Frankfurter Spielerinnen in einem Pfeifkonzert der 7.900 Zuschauer unterging.
Nicht, dass die Fans des 1. FFC Turbine Potsdam als besonders unfair gelten – aber die Enttäuschung war auch bei ihnen einfach zu groß. Hatte ihre Mannschaft doch in der Nachspielzeit durch Petra Wimbersky noch ein Tor erzielt. Der Treffer zum Titel, wie alle in diesem Moment glaubten. Doch die energischen Handzeichen der Schiedsrichterin Elke Günthner zerstörten alle Träume: Wimbersky stand im Abseits. „Das ist so bitter – wir hatten den Pokal schon in der Hand“, sagte Navina Omilade von Turbine Potsdam.
Nur die Spielerinnen des 1. FFC Frankfurt durften wirklich Hand anlegen an den begehrten Silberkelch. Das aufregende 0:0 im Karl-Liebknecht-Stadion in Babelsberg bescherte ihnen den vierten Meistertitel – und damit das vierte Double. „Das sind Momente, für die man ein Jahr lange gearbeitet hat“, sagte Trainerin Monika Staab : „Wir haben im Hexenkessel, in der Höhle des Löwen bestanden – und das macht mich stolz.“
Nach dem DFB-Pokalsieg vor zwei Wochen hatten die Titeljägerinnen aus Hessen, seit Jahren das Maß aller Dinge im Frauenfußball, eher emotionslos die Gratulationen entgegengenommen. „Dieser Erfolg ist anders als die anderen“, freute sich nun Renate Lingor, „weil es diesmal so knapp war.“ Mit nur zwei Punkten Vorsprung waren die Frankfurterinnen angereist – ein echtes Endspiel. Nie war es so knapp wie diesmal, aber „die erhoffte Wachablösung muss vertagt werden“, sagte Trainer Bernd Schröder nach dem Spiel: „Ich will den gesamtdeutschen Titel unbedingt nächstes Jahr.“
Rasch wurde klar, warum Bundestrainerin Tina Theune-Meyer im Vorfeld gegen ihre Assistentin Silvia Neid eine Flasche Schampus auf die Potsdamer Elf als neuen Meister gesetzt hatte. Der Kampfgeist der vergangenen Wochen, als das mit einem Altersdurchschnitt von 20 Jahren jüngste Bundesliga-Team die letzten elf Partien teilweise im Fotofinish gewann, hatte ihr imponiert. So dynamisch begann der Außenseiter auch am Sonntag. Alles oder nichts lautete die Taktik – es schien, als wollten die Turbine-Frauen den Gegner überrennen.
Das ganze Drumherum war wie Doping für die jungen Frauen: Die erstmalige Live-Übertragung einer Bundesligapartie im Fernsehen, ein fanatisches Publikum, das bisweilen etwas über die Stränge schlug. Wegen bengalischem Feuer musste die Partie gar kurz unterbrochen werden. Und dann war da noch Bernd Schröder, der die Stimmung anheizte beim einzigen Ostklub in der Eliteliga. „Wir kämpfen auch für die Region“, sagte der 60-Jährige, der seit der Vereinsgründung 1971 bei Turbine arbeitet: „Wenn das Spiel nicht Ost- gegen Westklub wäre, dann wäre es nur die Hälfte wert.“ Später zeigte er sich als fairer Verlierer: „Einige bei uns waren geistig überfordert, Frankfurt ist verdienter Meister.“
Seinem Team aber bleibt ein Makel: Vorstandsmitglied Katrin Jakob spricht vom „Leverkusen-Syndrom“ – dem Stigma des ewigen Zweiten. Die Frankfurterinnen, international erfahren, standen hinten sicher, konterten gefährlich und ließen die Potsdamerinnen einfach anrennen. Die wiederum ernteten für enormen Aufwand wenig Ertrag: Zwei Kopfballchancen durch Spielführerin Hingst (3., 37.) waren lange die einzigen Chancen. Im zweiten Teil kamen viele Bälle der sichtlich ausgepumpten Turbinen nicht mehr an. Erst kurz vor dem Ende ergaben sich noch einmal mehrere Siegchancen: Doch sowohl Omilade als auch Peggy Kuznik zielten freistehend zu ungenau. Und dann war da noch das Abseitstor.
Die Fans sahen eine Partie, die an Tempo und Dramatik all das bot, was viele Männerspiele in der vergangenen Erstligasaison vermissen ließen. „Ein fantastisches Spiel“, schwärmte DFB-Vizepräsident Hans-Georg Moldenhauer aus Magdeburg, der mit Potsdam fühlte: „Ein Sieg für Turbine hätte den Frauenfußball mehr belebt als der von Frankfurt, die ja sowieso die Metropole für diesen Sport sind.“