: Der ewige Feldkampf
Auch ohne Kahlfrost fand gestern der Feldkampf im Klootschießen statt. Sechs Stunden rannten die Teilnehmer und sprangen über die Schanze, schossen den Kloot, tranken viel Köm und pflegten das schlechte Verhältnis zwischen Oldenburgern und Ostfriesen, die traditionell gegeneinander antreten
VON ROGER REPPLINGER
Es ist noch nicht richtig hell an diesem Sonntagmorgen, da stehen auf dem Bohlenberger Feld, ein paar Kilometer südlich von Wilhelmshaven, Gruppen von Männern, und diskutieren: Kein Kahlfrost! Es regnet, und der Fuß, den man aufs Bohlenberger Feld setzt, drückt das Wasser heraus und erzeugt ein Geräusch wie gefräßiges Schmatzen. Man ist froh darüber, dass das hungrige Feld allein von Wasser lebt und nicht von Zehen.
Die Männer, Oldenburger und Ostfriesen, besprechen die Lage, die der ausbleibende Kahlfrost erzeugt hat. Sollen wir oder sollen wir nicht? Seit Januar 2006, damals in Ardorf bei Oldenburg, hat kein Feldkampf stattgefunden, die 40.000 Klootschießer, die im „Friesischen Klootschießerverband“ (FKV) organisiert sind, warten seitdem. „We mook dat“, lautet aber dann die Entscheidung.
Der Feldkampf braucht Kahlfrost, damit die Gräben zugefroren sind. Denn beim Feldkampf rennt der Klootschießer mit dem Kloot, einer 475 Gramm schweren und mit Blei ausgegossenen Holzkugel auf eine 140 Zentimeter lange und 90 Zentimeter breite Schanze, und wirft von dort im Sprung. Und auch die Taktik spielt eine Rolle: Wirft man bis zum Graben, oder versucht man drüber zu kommen, mit der Gefahr selbst im Graben zu landen? Liegt der Kloot nämlich vor dem Graben, kauern sich die Männer, die für die Schanze zuständig sind, in den Graben und bauen die Schanze auf ihrem Rücken auf, um ja keinen Zentimeter zu verschenken. Auf dem Bohlenberger Feld, einem Segelflugplatz, gibt es keine Gräben, nur Maulwurfshügel. Bei Kahlfrost „trüllert“ der Kloot auch viel besser, er bleibt dann nicht im Schlamm liegen, sondern hoppelt weiter.
Ursprünglich war der Kloot eine Waffe der Friesen, die sie auf Schiffe und Gegner schleuderten. Im Jahr 1985 warf Hans-Georg Bohlken, der „Bär von Ellens“, das Sportgerät Kloot 105 Meter weit, seit Januar 2006 hält Stefan Albarus mit 106,20 Metern den Rekord. Aufgestellt in Norden, Ostfriesland. Bohlken und Albarus, der eine für Oldenburg, der andere für Ostfriesland, waren auch bei diesem großen Feldkampf am Start.
Man muss wissen, dass das Verhältnis zwischen den Oldenburgern, die auch Friesen sind, und den Ostfriesen so ist wie das Wetter. Getrübt. Das geht auf Auseinandersetzungen im 16. Jahrhundert zurück und nicht eingehaltene Eheversprechen zwischen dem ostfriesischen Grafensohn Enno und einer wie vom Erdboden verschluckten Prinzessin Maria von Jever. Das führt dazu, dass vor jedem Wurf beim Klootschießen die Trompeter Gerd Janssen (Aurich) und Otto Menssen (Holtgast), „Heil Dir oh Oldenburg“ und, nach der Melodie von „Weißt Du, wie viel Sternlein stehen?“, „In Ostfriesland ist am besten“ blasen.
So ein Feldkampf dauert an die sechs Stunden, denn er besteht aus vier Durchgängen mit je sieben Werfern. Schanze und Kokosmatte, über die der Werfer zur Schanze rennt, werden dort aufgebaut, wo der Kloot zum Liegen gekommen ist. Zweimal laufen die Klootschießer trocken an, dann blasen die Trompeter, dann rufen diejenigen, die dort stehen, wo der Kloot hinfliegen soll, damit er möglichst weit trüllert, „her up an“ (hierher), dann rennt der Werfer los, springt drei, vier Meter vor der Schanze ab, lässt sich von der Schanze in die Luft katapultieren, schleudert mit einer enormen Kreisbewegung den Kloot aus der Hüfte. Der Kloot fliegt Richtung graue Wolken. „Schön aus der Hand“, rufen die Zuschauer, und: „Das war’n Ding.“ Dann senkt sich der Kloot gen Erde und die, die im Feld stehen, um dem Schützen die Richtung anzugeben, müssen aufpassen, dass sie nicht getroffen werden. Johann Hasselhorst, Vorsitzender des Landesverbands Oldenburg, sagt: „Das ist ein höchst anspruchsvoller Hochleistungssport.“ Und dann feuert er seinen Athleten Renko Altona an: „Jo, jo.“
In den großen Tagen des Klootschießens kamen bis zu 12.000 Zuschauer zu den Feldkämpfen. In den vergangenen Jahren, in denen die Oldenburger gewannen, waren es wenigstens vier- bis fünftausend. Heute sind es nur ein paar Hundert unter Kapuzen, Mützen, Kappen und Schirmen. Hier wird, auch vom Ansager, Platt geschnackt. „He löpt noo“, heißt, dass der Kloot noch trüllert. Und „beeten hoo“, heißt, dass die Flugkurve nicht stimmte. „Eigentlich“, sagt Hasselhorst, „sind wir Oldenburger beim Flüchten besser.“ Also, wenn es darum geht, dass der Kloot möglichst weit geworfen wird, und dann liegen bleibt, wie beim „Standkampf“, und nicht noch lange hoppelt.
Im Schubkarren der Ostfriesen, in dem Anlaufmatte und Handwerkszeug übers Feld transportiert werden, ist auch eine Aktentasche, in der eine Flasche Köm, Kümmel-Schnaps, steckt. Am Nachmittag ist es heller geworden, es regnet aber weiterhin so, dass man mit der Erbsensuppe nicht im Freien stehen kann. Doch trotz des Schietwetters sind Teilnehmer, Zuschauer, Offizielle und Inoffizielle gut drauf, vor allem aber die Oldenburger, die das Klootschießen mit 57 Metern Vorsprung gewonnen haben. Ihre Hymne klingt allerdings inzwischen wie Miles Davis. Auch das ist der Köm.