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Archiv-Artikel

grüner parteitag Inszenierte Lebendigkeit

Es war ein grüner Parteitag der Symbole. Erst wurde sich symbolisch aufgelehnt gegen die Sozialkürzungen der Agenda 2010, indem man es anfangs spannend machte und auch die kritischen Anträge sehr deutlich unterstützte. Aber so ernst war die Rebellion dann doch nicht gemeint; die eigene Regierungsmacht wollte niemand gefährden. Kaum ging es ums Ganze, kippte man ins symbolische Gegenteil und unterstützte Schröders Reformen mit über 90 Prozent. Das sind sozialdemokratisch-sozialistische Verhältnisse.

Kommentar von ULRIKE HERRMANN

Doch so unverbrüchlich sollte die Solidarität mit der SPD nun auch wieder nicht aussehen. Schließlich ist man selbst ernannter „Reformmotor“. Daher stimmten die Delegierten noch Ergänzungen in den Leitantrag, die ebenfalls symbolisch sind. Eine Vermögensteuer soll es jetzt geben, gerade weil bestens bekannt ist, dass die Union das Projekt im Bundesrat stoppen würde. CDU ärgern statt die SPD, war der bequeme Ausweg aus allen Kalamitäten. Da fiel der Abschlussjubel leicht.

Zu den Ritualen des Parteitages gehörte auch, dass fast alle Redner der Parteispitze den Rebellen dankten, dass sie diesen Sonderparteitag erzwungen hatten. Und diese Dankbarkeit ist berechtigt. Denn das muntere Debattieren hat den Grünen nicht geschadet, im Gegenteil. Sich symbolisch zu streiten wurde selbst schon wieder zum positiven Symbol – konnte man doch eine Lebendigkeit inszenieren, die der SPD so sichtbar fehlt.

Es passt zu den Grünen, dass sie sich so spielerisch mit den ernsten Fragen des Regierens beschäftigen konnten: Sie sind von den geplanten Kürzungen nicht besonders betroffen. Sozialpolitik in Deutschland gehörte nie zum Kern grüner Identität. Da war anderes wichtiger wie Frieden, Frauen, Umwelt, Migration oder Entwicklungshilfe. Um es etwas zuzuspitzen: Armut und Ausgrenzung gab es für Grüne lange nur in der Dritten Welt.

Die Sozialdiskussion wurde daher gern den zuständigen Abgeordneten im Bundestag überlassen. Das war eine Überforderung dieser wenigen; und es ist nicht überraschend, dass sie sich gern bei den Ideen Fremder bedienten. Entfernt man die grüne Rhetorik ein wenig, dann ist nicht zu verbrämen, dass viele Umbauideen der „Reformmotoren“ auch von der Union stammen könnten. Die Grünen haben zur Sozialpolitik nichts Eigenes zu sagen. Ursprünglich sollte der Sonderparteitag diese versäumte Debatte nachholen. Aber in Zeiten des Regierens gelingt dies wohl nur symbolisch.