: Unkonventionelle Lösungen
betr.: „Geiz ist gaga“ von Hermannus Pfeiffer, taz vom 12. 6. 03
Zwar haben Sie sicher Recht, dass kreditfinanzierte Nachfrageförderung durch den Staat in bestimmten Phasen Sinn machen kann, zum jetzigen Zeitpunkt halte ich das jedoch für völlig deplatziert. Der Staat gibt bereits jetzt 20 Prozent seiner Einnahmen völlig unproduktiv als Zinszahlungen für alte Schulden aus. Es ist kaum absehbar, ob diese Schulden jemals wieder abtragbar sind.
[…] Egal welche „herkömmlichen“ Werkzeuge unsere Politiker noch aus dem Hut zaubern, können sie eine grundlegende Sache in unserem Wirtschaftssystem ohne genaueres Verständnis der Hintergründe einfach nicht ändern. Und das ist die von Ihnen angesprochene Umverteilung von Arm zu Reich – die aber systemimmanent ist und nicht eine Frage politischen Willens. Unsere Wirtschaft stagniert. Das bedeutet aber nichts weiter, als dass wir genauso viel produzieren wie letztes Jahr – das Bruttoinlandsprodukt BIP bleibt also etwa konstant. Wir haben gesellschaftlich gesehen genauso viel zur Verfügung wie im letzten Jahr, trotzdem geht es der Wirtschaft schlecht. Wie ist das zu erklären?
Das Bruttoinlandsprodukt, die Summe aller Werte der produzierten Güter und Dienstleistungen wird aufgeteilt: Zum einen für geleistete Arbeit (Arbeitseinkommen), zum anderen für als Investitionen zur Verfügung gestelltes Kapital (Kapitaleinkommen). Das Kapital aber unterliegt in weiten Teilen einer festen Verzinsung. Schauen Sie sich doch mal die Billionen an Euro an, die auf deutschen Sparkonten oder in Form von Anleihen zu festen Zinssätzen verliehen werden. Oder die Zinsströme des Bundes: Jeder Euro, den der Bund zahlt, steigert bei den Gläubigern das Vermögen, sie reinvestieren es und erzielen im Jahr darauf noch höhere Einkommen usw. Ergo wachsen die Kapitaleinkommen unaufhörlich weiter. Wächst aber das BIP nicht, so bedeutet das, dass die Arbeitseinkommen sinken müssen, denn wir können nur verteilen, was wir produzieren. Genau an dem Punkt sind wir jetzt, erkennbar an sinkenden Löhnen, Zurückfahren der Arbeitslosenhilfen und einiges mehr. Die Politik tut hier unbewusst das, wozu das ständig anwachsende Kapital sie zwingt: Arbeit durch Kapital substituieren, mit dem Effekt, dass ganze Bevölkerungsschichten verarmen werden.
[…] Unsere Politik ist so blind gegenüber den grundsätzlichen wirtschaftlichen Vorgängen geworden, dass wir sogar eine Flutkatastrophe wie die des letzten Jahres als etwas wirtschaftlich Gutes bewerten: Der darauffolgende Wiederaufbau steigerte das BIP. Obwohl vieles kaputt gemacht wurde und mühsam und mit viel Aufwand wieder hergestellt werden muss, ist diese Katastrophe ein Segen für die herrschende Volkwirtschaftslehre und ihre Vertreter in der Politik, denn sie bewirkte ein Wirtschaftswachstum. Ihre Aufforderung, die Konjunktur durch Kredite anzukurbeln, ist somit zwar nett gemeint, behebt den Systemfehler des Kapitalismus jedoch nicht. NORBERT ROST, Dresden
Es gäbe noch etwas hinzuzusetzen: Die Einführung der „Maschinensteuer“ und nicht deren Subventionierung. Dann wäre man zu 40 Prozent aus dem Dilemma raus. Alte SPD-Forderung, könnte man vertiefen. MANFRED DIEHL, Kassel
„Seit mehr als zwei Jahrzehnten regiert in unserem Land das Leitbild ‚Sparen, sparen, sparen‘ “. Na, dann sage doch einmal jemand Herrn Eichel, dass er sich unsere Staatsschulden nur einbildet. Auch seine Lösungsvorschläge sind unkonventionell. Dass man durch Vermögenssteuern und Mindestabgaben für Unternehmen Arbeitsplätze schafft und durch eine Erhöhung der Mehrwertsteuer die Kauflust ankurbeln kann – darauf muss man erst kommen. […] KERSTIN TERHOEVEN, Alfter
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