DIETER BAUMANN über LAUFEN
: Es muss nicht immer Eskimorolle sein

Mit Spaß wollen die Grünen Schüler zu mehr Sport bewegen. Eines haben sie vergessen: Auch Leistung macht Spaß

Alle Untersuchungen sagen uns: Kinder werden immer dicker und unbeweglicher. Deshalb luden die Grünen zum Thema „Kinder leicht“ zur Podiumsdiskussion nach Stuttgart ein. Die landespolitische Sprecherin in Sachen Sport machte einige Vorschläge, um diesem Problem zu begegnen. Schulsport sollte ab 16 Jahren freiwillig sein, stattdessen könnten die Sportlehrer in den unteren Klassen eingesetzt werden. Ziel: täglicher Schulsport in den unteren Klassenstufen. Außerdem – Abschaffung der Schulnoten. Motto: Sport ohne Verlierer und Gewinner. Die Freude, der Spaß sollten im Mittelpunkt stehen. Mein Argument, auch Leistung könne Spaß machen, prallte ab. „Sie kommen aus der Leistungsecke, das können Sie nicht verstehen.“ So schnell war ich also in die Schublade gepackt. Ich saß etwas sprachlos da und musste an einen Dauerlauf vor wenigen Tagen denken.

Ich war in Südtirol gewesen, zugegeben auf den ersten Blick kein Läuferland. Enge Täler und sehr bergig. Vor dem Lauf fühlte ich mich müde. Nur dreißig Minuten, dachte ich deshalb, die Beine ausschütteln. Langsam setzte ich mich in Bewegung. Rechts von mir floss die Etsch, links waren scheinbar endlose Apfelplantagen. Die Fahrspuren der Traktoren zwischen den Apfelbaumreihen nutzte ich als Laufbahn, eine kurz geschnittene, weiche Grasbahn, einfach wunderbar. Trotz Müdigkeit besserte sich meine Stimmung . Die Abendsonne hüllte die Bergwelt in ein bezauberndes Licht. An den Ästen der jungen Apfelbäume schimmerten die ersten roten Blütenknospen hervor, und im Gezwitscher der Vögel waren meine Müdigkeit und die Zeit schnell vergessen. Ich war einem kleineren Gebirgsbach gefolgt und erreichte den Rand des Tales. Langsam, kaum merklich ging es bergan. Eine Straße markierte das Ende der Plantagen. Nach einigen Metern entdeckte ich einen Wanderweg. Serpentinenartige Kurven führten immer steiler hinauf, in einen wunderschönen Kiefernwald.

Da riss mich ein Argument der sportpolitischen Sprecherin aus meinen Gedanken: Die Leichtathletik, mit ihrer genauen Messung und Überprüfung – ein Teufelszeug. Dafür forderte sie mehr Spiel, mehr Spaß, beispielsweise beim Kanufahren oder Eishockey. Alles tolle Vorschläge. Aber müssten wir nicht zuerst für ausreichend Sprungseile, Turn- und Spielgeräte in den Sporthallen sorgen, so mein Gegenargument? Vor einer Eskimorolle mit dem Boot sollten die Kinder eine Rolle vorwärts am Boden beherrschen. Und wo sollte der tägliche Sportunterricht stattfinden, wenn es nicht einmal genügend Hallen gibt? „Draußen“, bekam ich als Antwort. Draußen, mit dreißig Grundschülern im Winter? Das klang nun wirklich etwas weltfremd. Draußen, das ist doch die Welt des Leistungsathleten, beim Dauerlauf, wie zuletzt bei meinem in Südtirol.

Nach 15 anstrengenden Minuten meines Laufes bergan, die mir großen Spaß machten, wand sich der Weg entlang des Berghanges. Es war geradezu ein Vergnügen, auf dem feinen, weichen Nadelboden zu laufen. Oftmals lichtete sich der Wald und gab den Blick über das ganze Tal frei. Die langen schnurgeraden Reihen der Apfelbäume bildeten den Gegensatz zur wilden Gipfelwelt der Berge. Die Strukturen des Tales zeichneten sich klar ab. Ich blieb stehen, um das Bild wirken zu lassen. Ich freute mich unterwegs zu sein, hatte Spaß den steilen Berg laufend bezwungen zu haben. Die Ruhe, der Blick lösten Zufriedenheit aus. Noch drei, vier Kilometer zog sich der kleine Pfad. Gebirgsbäche rauschten in die Tiefe, kleine Holzstege führten darüber hinweg, dazwischen lauschige Rastplätze. Und immer wieder: ein atemberaubender Blick ins Tal.

Spaß, Freude, Leistungsbereitschaft, Leistungswille, gewinnen wollen, verlieren können. Das alles sind Bestandteile des Sports, ob im Leistungssport oder Schulsport. Keines kann unbeachtet bleiben. Aber wirkliche Hilfe gegen Bewegungsmangel unserer Kinder sind offen zugängliche Freiräume und (Spiel-)Plätze, funktionierende Geräte vorausgesetzt, zum Toben, Klettern und Spielen. Nicht Eishockey.

Fragen zum Schulsport? kolumne@taz.de Morgen: Philipp Maußhardt über KLATSCH