: Historische Chance wurde vertan
betr.: „Zyperns Zukunft bleibt geteilt“, „Zypern: EU muss den Norden belohnen“, taz vom 26. 4. 04
Enosis ist griechisch und bedeutet Wiedervereinigung. Der Wunsch nach Enosis ist zumindest bei den griechischen Zyprioten wesentlich älter als die faktische Teilung des Landes. Schon bevor die türkische Armee vor nunmehr 30 Jahren 40 % der Insel besetzte, hegten eine Vielzahl der griechischstämmigen Zyprioten den Wunsch nach Wiedervereinigung, allerdings mit Griechenland. Die jetzige Teilung könnte man sogar als mittelbare Folge dieses Wunsches bezeichnen, denn der Militärputsch von 1974 unter Nicos Sampson war von der damaligen griechischen Militärregierung gestützt und führte erst zum Eingreifen der türkischen Armee und zur Besetzung.
Im Gegensatz zu damals sahen am vergangenen Samstag die Einwohner des griechischen Teils der Insel dem Tag der möglichen Wiedervereinigung relativ emotionslos entgegen. Es war nichts zu spüren von allgemeiner Aufbruchstimmung oder Erregung, die einem geschichtsträchtigen Ereignis wie dem einer Wiedervereinigung normalerweise vorauseilt. „Es ist ein Sicherheitsproblem“, meinte ein leitender Angestellter einer Reederei. „Wer garantiert uns, dass die Türken wirklich ihr Militär abziehen?“ Hingewiesen auf die deutsche Wiedervereinigung und den Abzug der Sowjettruppen sagte er, der Fall läge wohl anders. Damals seien auf beiden Seiten Deutsche gewesen, was auf Zypern nicht der Fall sei. Hier Griechen, dort Türken. Hier Muslime, da Christen. Außerdem könne man in Südzypern sehr gut ohne die türkische Minderheit leben. Dabei grinste der Mann ein wenig und rieb seinen Daumen gegen den Zeigefinger, um anzudeuten, wo das wahre Problem lag. „Deutschland hat uns gezeigt, dass so etwas sehr teuer sein kann.“ Auch im Fernsehen wurden seitens der Regierung ökonomische Bedenken an der Wiedervereinigung laut. Zu teuer, kein guter Deal, wer soll die türkischstämmigen Mitbürger ernähren?
Kein Mensch sprach von einem historischen Ereignis, einer friedensstiftenden Geste oder von dem Willen, mit den muslimischen Nachbarn in Eintracht zusammenzuleben. […] Tulla, die Frau eines pensionierten Ingenieurs und Vertriebene, zeigt Fotos aus ihrer Jugendzeit im Norden der Insel. „Die Bäume, die auf meinem Grundstück standen, sind alle verschwunden. In meinem Haus wohnen Fremde. Und nun soll ich nur 30 % meines Landes wiederbekommen.“ Sie schüttelt den Kopf: „Dann will ich lieber gar nichts.“ Außerdem glaubt sie wie viele andere Zyprioten im Süden, dass es bald einen viel besseren Plan oder vielmehr einen besseren Deal für alle Beteiligten gäbe, natürlich mit Geld aus Brüssel. Andere Stimmen sind rar. Nur wenige denken wie der Buchhalter Stelios, der in dem Referendum eine einmalige Chance zur Wiedervereinigung mit dem Norden sieht. Stelios schimpft auf den amtierenden zypriotischen Präsidenten und bezichtigt ihn, die Ängste der Menschen für seine Zwecke zu instrumentalisieren. […] Stelios sieht harte Zeiten auf den südlichen Teil Zyperns zukommen. „Wir werden uns durch ein Nein zur Wiedervereinigung international isolieren. Die EU wird den nördlichen Teil fördern und wir haben nichts davon. Und wenn die Türkei nicht in diesem Jahr offiziell zum Beitrittskandidaten erhoben wird, dann werden sie ihre Truppen in den nächsten hundert Jahren nicht abziehen.“ JUSTUS RIESENKAMPFF, Berlin
30 Jahre demütigende Besatzung, vorherige Vertreibung eines Drittels der Bevölkerung und die Ermordung tausender sollten die inzwischen wohlhabenden griechischen Zyprer plötzlich vergessen können? Weil der türkische Bevölkerungsteil bitterarm geworden ist und dringend auf wirtschaftliche Segnungen der EU hofft? Wie konnten Annan, Verheugen & Co bloß glauben, dass die griechischen Zyprer dem Referendum ohne jedes politische Zugeständnis zustimmen würden? Ein unbeschränktes Recht auf Rückkehr in die alten Heimatorte im Norden wäre das Mindeste gewesen. Oder auch der Abzug des türkischen und britischen Militärs, die die schönsten Ecken der Insel seit Jahrzehnten besetzen. Wer einem Abkommen nur zustimmt, weil die internationalen Machtpolitiker wenigstens ein Problemgebiet im sehr Nahen Osten endlich mit haarsträubendem Dilettantismus bewältigen möchten, wäre unreif. In diesem Sinn hat die Republik Zypern ihre Reifeprüfung für die EU mit Bravour bestanden. Willkommen, kleine stolze Insel! JAN EPPERS, Dresden
Es zeugt doch schon von einem sehr problematischem Demokratieverständnis, wenn überall in der EU-gleichgeschalteten Presse zu hören sei: „Der Friedensplan passe zu Zypern, aber die Zyprioten nicht zum Friedensplan.“ […] Außerdem ist es fragwürdig, überhaupt mit der Türkei über Zypern zu reden: Immerhin ist das ja die Besatzungsmacht. Is’ aber schick und modisch, sich für die Besatzungsmacht Türkei einzusetzen. […] GEROLD FLIKSCHUH, Bonn
Die Schuld auf die griechische Zyprioten zu schieben, ist unerhört. Seit einem Jahr haben UNO und EU ohne Rücksicht für diesen Teil der Bevölkerung immer neue Konzessionen an die Türkei und an die türkischen Zyprioten gemacht. Die türkische Armee bleibt in massiver Stärke und ohne Abzugsgarantie. Die aus Anatolien geholten Kolonisten bleiben in den Häusern von griechisch-zypriotischen Flüchtlingen. Der Krieg und die Besatzung werden legitimiert, damit die für die westliche Wirtschaft sehr wertvolle Türkei einverstanden sei. Der Friedensplan war ein hypokritischer Schwindel, der nur scheitern konnte. PAUL MÉNIÈRE, Mainz
Nach der nun stattgefundenen Abstimmung ist das Nein der Inselgriechen ohne Konsequenzen für sie selbst. Sie werden jetzt zwar als der Buhmann angesehen, aber die Mitgliedschaft haben Sie wegen der vorangegangen Zusicherung in der Tasche. So bleibt festzuhalten, dass die Spielräume in den Beitrittsverhandlungen nicht genutzt wurden. Die Attraktivität, die eine EU-Mitgliedschaft für ein Land wie Zypern darstellt, hätte allemal ein gutes Argument für eine Einigung bedeutet, und es wäre natürlich auch ein Druckmittel gewesen. So hat die EU leichtfertig ihre Einflussmöglichkeiten verspielt. Ein fataler Fehler der Beitrittsverhandlungen! Durch das Ja der Inseltürken wird der Nordteil jetzt ein defacto-Mitglied der EU. Denn Gelder werden auch dorthin fließen. Eine historische Chance ist vertan worden. HARTMUT GRAF, Hamburg
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