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Archiv-Artikel

Morsals Bruder drohte Freundin

Im Prozess gegen den des Mordes an seiner Schwester angeklagten Ahmad O. nutzt die Familie ihr Zeugnisverweigerungsrecht. Eine Mitschülerin erinnert sich an frühere Verletzungen des Opfers

VON FRIEDERIKE GRÄFF

Die Familie sagt nicht aus. Der Angeklagte Ahmad O., der 24-jährige Bruder des Opfers, schweigt ohnehin. Im Prozess um den so genannten Ehrenmord an der 16-jährigen Deutsch-Kurdin Morsal O. bleibt das Gericht auf das angewiesen, was Außenstehende sagen: Heute werden es eine Mitschülerin und ihr Klassenlehrer sein. Als der jüngere Bruder und die Schwester von ihrem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen, bleibt Ahmad O. ruhig, aber als seine Mutter vor dem Landgericht laut schluchzt und ausruft: „Ich habe zwei Kinder verloren“, bricht auch er in Tränen aus. „Was bringen diese Tränen?“, fragt einer der Journalisten auf der Pressebank, aber es ist keine wirkliche Frage.

In den Medien ist schon lange hin und her gewendet worden, wie sehr Gewalt in der Familie zum Alltag gehörte: Morsal O. wurde – auch im Beisein der Mutter – nicht nur von ihrem Bruder Ahmad, sondern auch von ihrem Vater geschlagen und getreten. Deswegen hat die Hamburger Staatsanwaltschaft nun Anklage gegen den Vater wegen der Misshandlung Schutzbefohlener erhoben. Auch den mehrfach wegen Diebstahls und Körperverletzung mit dem Gesetz in Konflikt gekommenen Sohn Ahmad versuchte der Vater mit Gewalt nach seinen Vorstellungen zu formen.

Da mutet es nahezu tragisch an, dass Morsal O. in ihrer Schule eine Ausbildung als Streitschlichterin absolvierte. Ihr Klassenlehrer Peter M. beschreibt sie vor Gericht als „fröhlich und ausgesprochen selbstbewusst“. Morsal habe gewusst, was sie wollte, sie habe, anders als andere Mädchen ihres Alters, eine eigene Meinung gehabt – und sie zu vertreten gewusst. Sie habe oft, so erinnert sich der Lehrer, die Interessen anderer vertreten und sei dabei „nicht zimperlich gewesen“.

Aber immer wieder kommt Peter M. darauf zurück, dass Morsal O. eben auch genauso wie die anderen Mädchen gewesen sei: stark geschminkt – aber nicht greller als die anderen. An Handy und Klamotten interessiert – wie die anderen auch. Nur, dass sie im Sommer nicht so spärlich bekleidet erschien.

Nur einmal habe ihm Morsal etwas Privates erzählt: Als er sie bei einem Spaziergang fragte, warum sie trotz der Hitze eine langärmlige Bluse trüge, zeigte sie ihm ihren vernarbten Arm und sagte, dass sie als Kind verbrüht worden sei. Als sich ihre Leistungen in der Schule immer weiter verschlechterten, bot ihr der Lehrer mehrfach ein Gespräch mit den Eltern an. Das habe Morsal jedoch stets abgelehnt – aus Furcht, so glaubt er, vor weiteren Restriktionen.

Hätte er früher etwas von den Misshandlungen in der Familie mitbekommen können? Peter M. wirkt so, als habe ihn diese Frage umgetrieben, obwohl das Gericht sie gar nicht stellt. Zweimal sagt er: Dass die Familie, anders als viele andere mit Migrationshintergrund, Morsal O. ohne Widerspruch mit auf die Klassenreise fahren ließ, sei für ihn ein „Pfand“ gewesen. Ein Pfand für deren Toleranz.

Einmal sei Ahmad O. mit der älteren Schwester in der Schule erschienen und habe ihn aufgefordert, in ein Vokabelheft einzutragen, wann Morsal die Schule verlasse. Das hat der Lehrer abgelehnt, weil er fand, dass das eine Angelegenheit der Eltern sei.

Die 17-jährige Schulfreundin, die als Zeugin aussagt, hat mehr von Morsal erfahren. Allerdings nur auf Nachfrage. Und weil sie in der Sportumkleide die blauen Flecken an ihrem Körper gesehen hatte. Sie beschreibt Morsal als hilfsbereit und zugewandt: „Sie stellte ihre eigenen Probleme zurück.“ Als fröhlich. Nur dann, wenn sie alle nach Hause gingen und auch Morsal aufbrechen musste – „dann zog sie sich in sich zurück“.

Ganz beiläufig stellt sich heraus, woran die geplante Zwangsverheiratung in Afghanistan scheiterte: Am Veto des Onkels in Deutschland, den Morsal hilfesuchend anrief. Er werde den Kontakt zur Familie abbrechen, soll er gedroht haben. Ein anderer Hilferuf richtete sich an die Zeugin selbst: Als sich Morsal aus Furcht vor den Angriffen von Vater und Bruder in ihrem Zimmer eingeschlossen hatte, rief sie die Freundin an. Deren Mutter alarmierte die Polizei und Morsal O. zog in eine Notunterkunft. Am nächsten Tag rief Ahmad O. die Zeugin an. Was er gesagt habe, fragt das Gericht. „Ich stech’ dich ab“, sagt die Zeugin. Ob sie noch etwas anfügen wolle? „Es muss doch möglich sein, dass man rausgeht und keine Angst haben muss vor seiner Familie“, sagt die Zeugin und weint.