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Archiv-Artikel

Die Nacht des Zaubers

Eine wahre Brauchtumsinflation: Zu Walpurgis werden Göttinnen herbeigerufen, Hexen verbrannt und Besen-Führerscheine absolviert

von ANNIKA NOFFKE

Manche Frauen werden sich heute abend auf eine Waldlichtung legen. Sie haben zuvor in Rosenblüten gebadet und halten einen geflochtenen Kranz bereit, in den die Frühlingsgöttin einfahren kann. Sie warten auf den Königshirschen – halb Mann, halb Hirsch – dessen Potenz in einen als Phallus aufgestellten Ast übergehen wird. Später werden sie den Kranz der Göttin auf den Ast setzen als Sinnbild für ihre Vermählung mit dem Hirschen. So liest sich jedenfalls die Anleitung in „Der Steinkreis“, einem Magazin für „Angehörige alternativer Religionen“.

Die „Hexenzeitschrift“ empfiehlt hingegen, in der heutigen Nacht eine einjährige Haselrute abzubrechen, die Metallstücke im Boden finden kann. Pickel oder Hexenschuss? Körperliche Leiden können heute an Kreuzungen abgeladen werden, vorbeiziehende Geister werden sie mitnehmen. Zumindest könnte man aber die Walpurgisnacht nutzen, ein Amulett aus Schafgarbe zu basteln, das laut „Der Steinkreis“ die Liebe von Paaren für sieben Jahre beschützt.

Walpurgis gilt als die Nacht, in der Zauberkräfte sich entfalten und die Welt für Feen und Geister besonders durchlässig wird. Und es ist die Nacht der Hexen, die auf Schweinen oder Besen auf Berggipfel reiten. So beschreibt es Johann Prätorius in seiner „Blockesberger-Verrichtung“, einem Klassiker über das Hexenfest aus dem 17. Jahrhundert: Der Flug zum Hexentanzplatz im Harz, das Treffen unter dem Vorsitz des Teufels mit Bankett und ausgefallenen Sexualpraktiken. Früher wurden daher zu Walpurgis Reisigbesen über Kreuz vor die Scheunen gestellt und Türen mit Kreidekreuzen markiert, um das Vieh vor Verhexung zu schützen.

Belinda Baacke begeht auch Walpurgis. Die Hamburgerin veranstaltet „Witchcamps“, als „moderne Hexe“ sieht sie sich aber nicht. Für das Walpurgisfest gibt es keine feste Ordnung, nur wiederkehrende Rituale: Zuerst gibt es eine Meditation, von Baacke „Erdung“ genannt. Dann würden die vier Elemente „herbeigerufen“ und eine Göttin. „Im letzten Jahr war das Artemis, die Göttin der Tiere und Jagd“, erinnert sich Baacke. Sie stehe für Achtsamkeit im Umgang mit der Natur und sich selbst. Lieder und Tänze gehören auch zum Fest. „Dann ist man hungrig“, so Baacke. Nachdem die Elemente „verabschiedet“ seien, speisten die Frauen an einer Tafel. Heute wird Baacke in Bremen feiern. „Ob in der Natur oder drinnen ist dabei nicht wichtig.“

In den 70er Jahren wurde Walpurgis politisch von der Frauenbewegung aufgegriffen etwa mit Protestmärschen gegen Gewalt gegenüber Frauen. „Heute überwiegen jedoch die sprirituellen Hexenbewegungen“, sagt Jeannette Kokott vom Hexenarchiv im Völkerkundemuseum. „Sie sind unterschiedlich und ohne gemeinsames Sprachrohr.“

Auf 1908 wird die Auferstehung der Walpurgisnacht datiert, wie sie bis heute Folklorefans wie Touristen vorwiegend im Harz feiern. Da küren verkleidete „Teufel“ Junghexen, die durch Feuer gesprungen sind, die „Miss Hexe“ wird gekürt und der „Hexenbesen-Führerschein“ angeboten. Trotz aller Aufgeklärtheit über die Inquisition – allein im Nordharz wurden rund 7.000 Frauen verbrannt – wird die Verbrennung von Holzhexen auf Scheiterhaufen als touristisches Highlight inszeniert. Wie der Volkskundler Werner Meyer kommentiert: Eine wahre „Brauchtumsinflation.“