: Bissig im Quadrat
Nach dem 4:1 gegen Hannover ist der SC Freiburg fast schon gerettet. Das freut die zuletzt sehr nervösen Fans
FREIBURG taz ■ Brachte der 4:1-Sieg nun sechs Punkte ein wie Freiburgs Trainer Volker Finke („zählt in der Phase der Saison doppelt“) befand? Oder galt es gar derer neun zu feiern, wie Zlatan Bajramovic vorrechnete: „Das war eher ein Neun-Punkte-Spiel, schließlich spielen die unteren Mannschaften alle noch gegeneinander.“ Nun ist es unwahrscheinlich, dass der Abiturient Bajramovic (Leistungskurs Deutsch und Biologie) das konservative Tabellenprogramm des DFB umstimmen wird. Doch auch die drei Punkte, die man in Frankfurt gemeinhin für Siege auslobt, werden an der Dreisam dankbar in Empfang genommen, bedeuten sie doch fast schon den Klassenerhalt.
An dem hatten nach drei Niederlagen und einer Auswärtsbilanz von 5:40 Punkten immer mehr Fans erhebliche Zweifel – zumal das Team zuletzt tatsächlich Unmut wie den gegenüber einem begabten, aber faulen Kind herausforderte. Dennoch hatten etwa 15 Fans nach der verdienten 0:3-Niederlage in Frankfurt originellerweise den Rücktritt des Trainers gefordert. Und auch am Samstag waberte bereits wenige Sekunden nach dem Anpfiff das erste „Wollen euch kämpfen sehen“ aus dem Fanblock. Dort war kurz vorher ein Transparent enthüllt worden, das die letzten Dinge des Lebens und das vorletzte Vokabular der Bundeswehr bemühte: „Heute geht’s um euer Leben, heute ist ein guter Tag, um alles zu geben.“ Wesentlich weniger aktionistisch ging es auf dem Platz zu: Die gleiche Mannschaft, die in dieser Saison auswärts meist in unerklärlicher (und unerklärter) Lethargie den jeweiligen Rückstand über die Zeit rettete, spielte konzentriert und engagiert nach vorne. In der 14. erzielte Sascha Riether das 1:0, das Bajramovic per Kopf aufgelegt hatte: „Unser Konzept ist durchkreuzt worden durch ein Tor, das in der Entstehung hundertmal besprochen war“, ärgerte sich Gästetrainer Ewald Lienen über das Abwehrverhalten seines Teams. Lienens Warnung vor der Kopfballstärke des bosnischen Nationalspielers sollte sich erneut bestätigen, als der Mittelfeldmann in der 50. Minute den Ball millimetergenau in den Winkel wuchtete.
Dass Thomas Brdaric kurz darauf auf 2:1 verkürzte, konnte Lienen nicht besänftigen, denn der hatte die entscheidende Szene in der 25. Minute verortet, als mit Steve Cherundolo einer der Leistungsträger vom Platz flog. Nach einem reichlich banalen Foul, das ihm die gelbe Karte einbrachte, hatte der US-Amerikaner den Zeigefinger Richtung Stirn bewegt – eine abfällige Geste, die Schiedsrichter Steinborn nach Lienens Bekunden selbst nicht als an seine Adresse gerichtet verstanden hatte, aber dennoch mit einem Platzverweis ahndete: „Er hat dem Spieler gesagt, er würde wegen des Medieninteresses eine schlechte Beurteilung bekommen, wenn er nicht Gelb-Rot zeigen würde, so weit sind wir schon.“ Die Unbeherrschtheit seines Spielers mochte Lienen damit aber nicht entschuldigt wissen: „Der bestraft eine ganze Mannschaft, uns fehlen dadurch die Punkte.“ Schließlich sei der „Platz in Freiburg ungeheuer breit, fast quadratisch, da hat man es in Unterzahl besonders schwer.“
Da die dezimierten Niedersachsen aber nicht nur in der Weite der Ebene, sondern auch in der Enge des Sechzehners ziemlich orientierungslos zu Werke gingen, stand es am Schluss 4:1. Das Zuspiel zum Endstand hatte Soumaila Coulibaly in die richtigen Wege geleitet und daraufhin freudig sein Trikot in die Rabatten geschleudert. Also musste auch er vom Platz – aufgrund einer unsinnigen, aber sattsam bekannten Regel, die der bedauernd die Schultern zuckende Steinborn trotz Finkes Flehen exekutieren musste: „Ich habe versucht zu betteln, wusste aber, dass ich zu Recht keine Chance haben würde.“
So bedröppelt Lienen nach der Partie dreinschaute – auch sein Team ist spielerisch eine Bereicherung der Liga. Angesichts von zwei Punkten Vorsprung auf die Abstiegsränge und dem Umstand, dass für alle unter den Niedersachsen stehenden Teams der Ball ungleich runder zu sein scheint, sollte die Klasse in den letzten drei Spielen zu halten sein. Notfalls müssen sie eben noch mal beim Kollegen Bajramovic nachfragen, der sein ganz eigenes Erfolgsrezept verriet: „Wir haben heute als Mannschaft gebissen, gekratzt und gefoult.“
CHRISTOPH RUF