barbara dribbusch über gerüchte
: Das falsche Schlachtfeld

Der Zen-Buddhismus, Uschi Glas und Großtante Zilly – es gibt Mittel gegen den Schönheitswahn

Wenn ich mit Freundin Britt über die Töchter rede, kommt sie schnell in Fahrt. „Eins ist klar“, sagt Britt, „bei Anna werde ich vorbauen. Die soll nicht auf irgendeine Prinzessinnen-Nummer reduziert werden. Nicht mit mir.“ Wir sind zum Baden an die Krumme Lanke gekommen. Die Wiese ist der sonnigste Platz am See, mit der Besonderheit, dass hier fast nur Nacktbadende liegen. Sie okkupieren den besten Platz. Fast ein bisschen aufdringlich.

„Immer nur shoppen, Bauchkettchen hier, Spaghetti-Top da, dieser narzisstische Trip geht mir auf den Wecker“, fährt Britt fort und lässt sich in ihrem dezenten Einteiler auf dem Badetuch nieder, „stell dir vor, heute Nachmittag ist Anna auf der Werbefete einer Supermarktkette. Die wollen die Teenies ködern. Ist alles immer nur Markt, Markt, Markt.“

Ich höre nicht so recht zu. Irgendwie lenken mich nackte Menschen immer ab. Meine Wiesennachbarin hat nur ihr Gesicht bedeckt, mit der Bild-Zeitung. Auf der ersten Seite des Blattes prangt ein Ganzkörperfoto von Uschi Glas im Bikini. Fast 60 ist sie. Trainierte Beine und Oberarme. Trotzdem fällt der Blick sofort auf das gestraffte Gesicht, den faltigen Hals, die alten Hände. Halt die Stellen, die man kaum trainieren kann, die fallen immer sofort ins Auge.

„Es ist doch eine einfache Rechnung“, fährt Britt fort und kramt in der Badetasche nach der Sonnencreme. „Anna ist jetzt 13. Die hat noch ihr ganzes Leben vor sich. Ich will nicht, dass sie schon mit 28 Jahren Angst vor wabbeligen Oberschenkeln und Falten kriegt. Das Leben bietet so viele Möglichkeiten. Man kann doch nicht nur an sich heruntergucken.“

Mein Blick fällt auf die Bild-Schlagzeile zu den Uschi-Glas-Fotos. „Peinlich oder mutig?“ fragen die Lettern. Schon bemerkenswert, wie die Kollegen von Bild es schaffen, die Welt immer auf die falschen Gegensätze herunterzubrechen.

Britt schwimmt weiter in ihrem Redefluss. „Mick Jagger hat mal gesagt, die ganze Sache mit der Optik ist eher was für Mädchen aus der Unterschicht. Hübsche arme Mädchen, die sich einen reichen Typen angeln. Das ist ihre Chance zum Aufstieg. Mädchen aus den höheren Schichten hätten das nicht nötig. Deswegen wollte Jagger auch nicht, dass seine Tochter Model wird.“ „Aber er war doch selbst immer mit Models zusammen“, werfe ich ein. „Genau das bestätigt doch seine Theorie“, gibt Britt zurück. Manchmal ist sie unschlagbar.

Zehn Meter weiter klappt ein nacktes Pärchen um die 60 umständlich eine Strandliege auf. In meinem dunkelblauen Badeanzug im 30er-Jahre-Look komme ich mir plötzlich elitär vor. Vor zwei Jahrzehnten, mit 25, bin ich auf Sylt aus einem Wellenbad herausgeschmissen worden. Es war Nacktbadetag, doch ich wollte diesen schräg geschnittenen Einteiler anbehalten, aus Stilgründen und um Kai ein bisschen zu beeindrucken. Nach heftigem Wortwechsel mit dem Bademeister stolzierte ich hocherhobenen Hauptes unter den Blicken der Männer davon. In diesem Alter war es leicht zu siegen, in einem raffinierten Einteiler am Nacktbadetag.

„In Ruhe alt werden zu dürfen, das ist es doch“, monologisiert Britt weiter und schmiert sich die Oberarme mit Sonnencreme ein, „ich meine, es ist doch grotesk, dass Frauen um die 50 in eine erotische Konkurrenz zu ihrer Tochtergeneration getrieben werden. Eine aussichtslose Konkurrenz. Absurd.“ „Jede Schlacht ist schon geschlagen, bevor sie begonnen hat“, zitiere ich. Das ist mein Lieblings-Zen-Spruch. „Betrete einfach nie das falsche Schlachtfeld.“

Großtante Zilly fällt mir ein. Zilly in einem wadenlangen, cremefarbenen Baumwollkleid und mit breitkrempigem Strohhut, so saß sie im Strandkorb auf Spiekeroog, es waren die Sommer meiner Kindheit. In den wenigen Momenten, in denen ich Zilly mal halb nackt sah, wirkte ihr Körper auf mich so rätselhaft wie eine Traumlandschaft. Blaue Adern durchzogen ihre Beine wie prall gefüllte Bäche. Die Haut über den Oberarmen war so dünn wie Pergamentpapier, das jeden Moment reißen konnte. Das Gesicht war von Furchen durchzogen wie eine Felswand, die genug Halt bietet, um daran emporzuklettern.

Einmal im Urlaub, als es donnerte und blitzte, kroch ich zu Zilly unter die Bettdecke. Ich fühlte mich sicher, denn Zilly war mit den Geistern verbunden. Also würde sie bei denen wohl ein gutes Wort für mich einlegen.

Großtante Zilly war damals nur ein paar Jahre älter als Uschi Glas heute. Wo sind die Pergamenthaut, die blauen Adern, die Furchen von Uschi Glas geblieben? Meine Wiesennachbarin nimmt die Zeitung vom Gesicht. Das Bikini-Foto verschwindet.

„Anna will jetzt Taekwondo lernen“, meint Britt, „ich unterstütze das.“ „Charlotte möchte wieder auf den Reiterhof“, erzähle ich von meiner Tochter, „sich dreckig machen, herumkommandieren dürfen, das ist es.“ Britt streckt ihre Beine aus. Die zwei blutigen Schrammen am Schienbein sind ein echter Blickfang. Das kommt vom Klettersport. Im mittleren Alter heilt so was langsamer. „Verschwenden ist besser als konservieren“, sagt Britt. Genau.

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