piwik no script img

Archiv-Artikel

Bei Erfolg: Spur wechseln

Elektronik-Bastler und Grafik-Designer: Der Norweger Hiorthoy legt Wert auf die Trennung zwischen Broterwerb und Leidenschaft. Dabei ist er in beiden Feldern virtuos. Ein Porträt

VON THOMAS WINKLER

Kreuzberg, ein Altbau in der Reichenberger Straße: In Laufweite residieren Kevin Blechdom, Erlend Oye und Jamie Lidell von super_collider, der Jet Set elektronisch musizierender Exilanten. Kim Hiorthoy wohnt also standesgemäß. Wie und wo es sich gehört für einen Elektronik-Bastler auf dem Weg zum Weltruhm. Allerdings: Eigentlich war er gar nicht so richtig scharf auf Berlin. „Ich hatte genug zu tun in Oslo“, sagt er und kratzt seinen Bart.

Tatsächlich sieht der schmächtige Hiorthoy hier an seinem Küchentisch eher aus wie ein Waldschrat aus nordischen Wäldern als ein umtriebiger Künstler, der nicht nur seltsamste Musik zusammenschraubt, sondern in seiner Heimat auch noch ein gefragter Grafiker ist. Es brauchte schon ein Stipendium der Alfred-Toepfer-Stiftung, ihn vor ziemlich genau einem Jahr von der norwegischen in die deutsche Hauptstadt zu locken.

Nun ist er hier und hat festgestellt, dass Berlin gar nicht so schlecht ist. Weil, erstens, so billig, dass er sich weiter parallel seine Wohnung zu Hause leisten kann. Weil er zweitens, dank moderner Kommunikationstechnologie, von seinem Laptop aus nahezu alles regeln kann. Weil er drittens endlich mal die Ruhe zum Arbeiten findet: „In Oslo bin ich zu involviert, hier halte ich mich raus aus der Kunstszene.“ Die ist ihm eh suspekt: „Diese Welt ist so ernst und steif, ich weiß ja nicht mal, wie man Kunst macht. Hält man sich an die Regeln, hat man schon verloren, ist die Kunst langweilig. Andererseits gibt es natürlich Regeln, an die man sich halten muss, um vom Betrieb wahrgenommen zu werden. Ich bin da sehr verwirrt.“

Auch wenn er die Regeln vorgeblich nicht kennt, hat der 30-jährige Hiorthoy das Spiel in den letzten Jahren doch immerhin so erfolgreich gespielt, dass seine abstrakten, am Computer entstehenden Grafiken den Weg in Galerien gefunden haben und er mit ihnen ein Auskommen findet. Bekannt wurde er vor allem dadurch, dass er sämtliche Verpackungen für die avantgardistischen Veröffentlichungen von Rune Grammofon, legendäres Label seines Landsmannes Rune Kristoffersen, gestaltete. Die grafischen Arbeiten von Hiorthoy sind verspielt trotz klarer, einfacher Formen und großen, einfarbigen Flächen und liegen nun auch in Buchform vor: „Tree Weekend“ ist erschienen im Verlag Die Gestalten.

Fein säuberlich trennt Hiorthoy zwischen beiden Begabungen. Die Grafik ist ihm Broterwerb, die Musik Leidenschaft. Für die Grafiken gibt es Auftraggeber und Zwecke, die Musik entsteht im Alltag ohne Vorgaben. Wenn er in einem Formular seinen Beruf angeben muss, schreibt er „Graphic Designer“. Mit Musik hat er noch nie Geld verdienen können. Er will sich nicht einmal Musiker nennen: „Ein Musiker ist für mich jemand, der Musik spielen kann.“ Ein Instrument mag er nicht beherrschen, dafür aber geht er mit MPC und DAT-Recorder so virtuos um wie kaum jemand sonst. Auf seinem Debut „Hei“ und auf „Melke“, seiner letzten Veröffentlichung, machen es sich clicks + cuts bequem im Plüschsessel vor der Blümchentapete. Selten wohl haben einen Melodien so friedlich umgarnt und Beats so freundlich umarmt.

„Melke“ versank trotzdem nicht in lieblicher Beliebigkeit, weil Hiorthoy mit geradezu akribischer Finesse selten zuvor gehörte Klangfarben fand, die ausreichend Brüche ins Paradies brachten. So zielsicher fand Hiorthoy seinen Sound, dass die Avantgardewelt von Merzbow bis Jaga Jazzist bezaubert lauschte und fortan mit ihm zusammenarbeitete.

Musik, sagt der Nichtmusiker Hiorthoy, ist mit den Jahren immer mehr zu seinem Lebensmittelpunkt geworden. Allerdings: Mancher wird das, was Hiorthoy momentan aufnimmt, kaum noch Musik nennen. Während „Melke“ noch in Oslo entstanden und vergleichsweise konventionell geraten ist, sind auf der CD „For The Ladies“, deren Erscheinungsdatum noch nicht feststeht, eigentlich keine Rhythmen mehr zu finden, keine Melodien und auch kaum Töne. Eher erfindet Hiorthoy hier das ereignislose Hörspiel: Geplapper, Brummen, Geräusche wechseln sich ab mit Minuten voller Stille. Aber: „Stille existiert nicht“, sagt Hiorthoy, „Stille ist nur eine abstrakte Idee.“

Hiorthoy kann gut über seine Musik reden, auch wenn er das Gegenteil behauptet: „Wenn ich sagen könnte, was ich mit der Musik ausdrücken möchte, dann würde ich es sagen und keine Musik machen.“ Also muss man weiter grübeln, was Hiorthoy mit minutenlangem Nichtpassieren auf „For The Ladies“ sagen will. Es ist wohl vor allem seine Lust, nach der doch recht gefälligen Musik auf „Hei“ und „Melke“ nun gar keine Regeln mehr kennen zu wollen. Wo zuvor die Schmusigkeit nur durch gelegentliche Regelverstöße gebrochen wurde, wartet man nun permanent auf etwas, was sich noch als Musik bezeichnen ließe.

Kim Hiorthoy: „Melke“ (Smalltown Supersound/Zomba). Kim Hiorthoy: „Tree Weekend“ (Die Gestalten, broschiert, 159 Seiten, 2000, 35,50 €)