piwik no script img

Archiv-Artikel

Wer hier wohnt, lebt auf Nummer sicher

Neue Kriminalstatistik zeigt: Weniger Morde, aber mehr Prügeleien und Vergewaltigungen in Deutschland. Kriminologe Christian Pfeiffer begründet das mit mehr Strafanzeigen und abnehmender Dunkelziffer. Jugendkriminalität sinkt.

„Frauen zeigen Vergewaltigungenin der Ehe häufiger an als früher“

von ANNA LEHMANN

Der beliebteste Satz von Innenminister Otto Schily (SPD) bei der alljährlichen Präsentation der Polizeilichen Kriminalstatistik lautet: „Wir leben in einem der sichersten Länder der Welt.“ Auch gestern, als er in Berlin die Statistik der erfassten Straftaten des Jahres 2003 vortrug, ließ er diese Worte wie beiläufig zweimal fallen. Doch selbst in einem der sichersten Länder der Welt wurde das Gesetz im letzten Jahr 6,5 Millionen Mal übertreten. Die Zahl der Vergehen stieg im Vergleich zum Vorjahr um ein Prozent, und das, obwohl sich die Zahl der Diebstähle, die fast die Hälfte aller Straftaten ausmachen, leicht verringerte. Die unsicherste Stadt ist Frankfurt, an zweiter Stelle folgt Berlin.

Beim Anstieg der Gesamtkriminalität schlägt vor allem die erhöhte Zahl von Betrügereien mit gestohlenen Scheckkarten zu Buche. Der lukrative Einkauf mit einer fremden Karte hat um fast 60 Prozent zugenommen. In einem wesentlich niedrigerem, gleichwohl beunruhigendem Umfang ist die Zahl der Gewaltdelikte gestiegen. Gemordet wurde zwar weniger, doch dafür um 4,5 Prozent mehr geprügelt, verletzt und vergewaltigt. Ebenfalls bedrohlich ist, dass die Bürger öfter zur Waffe griffen.

Der niedersächsische Kriminologe Christian Pfeiffer führt den Anstieg der Gewalttaten auf die positiven Auswirkungen des Gewaltschutzgesetzes zurück. „Frauen zeigen Vergewaltigungen in der Ehe häufiger an. Alle Fachleute sind sich einig, dass hier der scheinbare Anstieg der Gewalttaten mit einem Rückgang der Dunkelziffer zusammenhängt“, sagte Pfeiffer der taz.

Dagegen sieht Schily eine beunruhigende Zunahme der Gewaltbereitschaft innerhalb der Bevölkerung. Auslöser dafür seien oft unbewältigte Entwicklungskonflikte in der Kindheit und Jugend. Deshalb rief er – drei Tage bevor die Ausbildungsabgabe im Bundestag verabschiedet werden soll – dazu auf, allen Jugendlichen einen Ausbildungsplatz zu geben.

„In einer Ausbildung lernen sie Disziplin und soziales Verhalten“, strich Schily die erzieherischen und präventiven Aspekte heraus. Auch der schleswig-holsteinische Innenminister Klaus Buß, der Schily sekundierte, stritt für die Jugend. Er appellierte an die Kommunen, nicht bei Projekten für Kinder und Jugendliche zu kürzen. „Jeder Bürgermeister kann sich ausrechnen, dass es mehr kostet, die Schäden von Vandalismus zu beseitigen, als rechtzeitig vorzubeugen.“

Allerdings sind Kinder und Jugendliche 2003 deutlich seltener kriminell geworden. Die Anzahl der tatverdächtigen deutschen Jugendlichen nahm gegenüber dem Vorjahr um ein Prozent ab, die der nichtdeutschen Jugendlichen sogar um 2,8 Prozent. Nicht so sehr moralischer Wandel, sondern vor allem die verbesserte technische Überwachung ist laut Schily der wesentliche Grund für die Abnahme der Diebstähle durch Minderjährige. Im Hinblick auf das Zuwanderungsgesetz betonte Schily: „Es ist im Interesse der Gemeinschaft, den Aufenthalt von Ausländern zu untersagen, die mit dem Gesetz in Konflikt kommen.“