: Noch 30 Jahre bis zur Minenfreiheit
Seit dem Kriegsende 1995 sind in Bosnien 4.771 Menschen Opfer von Antipersonenminen geworden. Noch immer sind weite Regionen verseucht. Internationalen Programmen fehlt es an Geld. Konferenz berät in Sarajevo über zukünftige Strategien
AUS SARAJEVOERICH RATHFELDER
Schweiß steht auf der Stirn des Minensuchers. Jetzt muss er sich völlig konzentrieren. Sicher führt die Hand den Detektor über die von gelben Bändern umgebene Grasnarbe. Glücklicherweise schlägt er nicht aus. Auch die Schäferhunde schnüffeln vergebens. An dieser Stelle liegen keine Minen.
Erleichtert deutet Paul Collinson, Leiter der norwegischen Hilfsorganisation „Norwegian People’s Aid“ auf die umliegenden Wiesen in der Nähe der Stadt Visoko in Zentralbosnien. 60.000 Quadratmeter Land werden hier Zentimeter für Zentimeter abgesucht. Bisher habe man drei Minen gefunden, „nicht viel“, sagt er, „doch um sicher zu gehen, dürfen wir keine Stelle übersehen“. Vielleicht in einem oder zwei Monaten werde man hier fertig sein, dann könnten Bauern das Land wieder nutzen.
Doch nach wie vor ist in Bosnien, wo heute in der Hauptstadt Sarajevo eine dreitägige Antiminenkonferenz zu Ende geht, viel zu tun. Seit Kriegsende im Dezember 1995 sind 4.771 Menschen Opfer dieser „teuflischen“ Antipersonenminen geworden, noch immer sind viele Gebiete an den ehemaligen Frontlinien, um die 2.000 Quadratkilometer, von Minen verseucht. Bis 2010 soll zwar der Großteil der Minen geräumt sein, doch bei dem bisherigen Tempo würde es mehr als 30 Jahre dauern, um Bosnien und Herzegowina völlig sicher zu machen. „Wir werden wohl einige Gebiete eingrenzen und belassen müssen“, sagt Collinson.
Denn die Spenden von Regierungen und privaten Institutionen versiegen langsam, Österreich, Deutschland und andere Länder unterstützen die norwegischen Minensucher in Bosnien nicht mehr. Immerhin fließen noch einige internationale Mittel und Geld aus Bosnien selbst in das „Mine Action Centre“, in dem alle Minensuchorganisationen koordiniert werden. Doch noch werden 324 Millionen Euro benötigt, um die Programme aufrechtzuerhalten und zu Ende zu führen. „Die Finanzmittel sind im Ganzen zwar nicht geringer geworden, doch sie gehen in andere Teile der Welt, wie etwa nach Afghanistan oder Angola“, sagt die amerikanische Antiminenaktivistin Jody Williams, „in Bosnien aber muss der Job beendet werden. Dafür brauchen wir nach wie vor Geld.“
Die Endfünfzigerin ist Gründungsmitglied und Botschafterin der „International Campaign to ban Landmines“ (ICBL), einer internationalen Graswurzelorganisation, die 1995 antrat, um die tückischen Minen verschwinden zu lassen. „Damals glaubte fast niemand, dass dies wirklich gelingen könnte.“ Doch in kurzer Zeit stellten sich 3.000 Nichtregierungsorganisationen hinter die Initiative, die Antiminenkampagne fand ein breites öffentliches Echo. „Uns ist es zudem gelungen, mit unserer zivilgesellschaftlichen Initiative viele Regierungen zu beeinflussen und zum Handeln zu bringen. Das war bis dahin einmalig“, erklärt Jody Williams stolz.
Vor allem Kanada, Belgien und Österreich boten damals sogleich diplomatische und logistische Unterstützung an. Auf einer Konferenz in Ottawa 1997 schlossen sich 122 Staaten der Kampagne an und unterzeichneten das von dem österreichischen Diplomaten Thomas Hajnoczi ausgearbeitete Protokoll, das die Produktion und den Vertrieb von Landminen verbietet. Die Amerikanerin Jody Williams und ihre Mitstreiter wurden kurz darauf zum Ärger des damaligen Präsidenten Bill Clinton mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.
Wenn Estland in den nächsten Tagen unterzeichnet, werden sich 142 Länder dem Protokoll angeschlossen haben. „Allerdings verweigern sich die USA, China, Indien, Pakistan, Russland, Finnland und Israel noch immer, doch diese Länder haben immerhin den Export von Minen gestoppt“, sagt Jody Williams auf dem Weg zurück nach Sarajevo. Dorthin sind über 100 Beobachter aus 70 Ländern gekommen, um über das weitere Vorgehen der ICBL zu beraten.
„Wir müssen den Regierungen nach wie vor auf die Finger sehen, damit die Verpflichtungen auch eingehalten werden“, betont die österreichische Delegierte Judith Majlath. Einige Beobachter beklagen, „ihre Regierungen“ umgingen die Bestimmungen. Manche Regierungen behinderten sogar ihre Arbeit. Das müsse man klar ansprechen, um eine Aufweichung des Ottowa-Protokolls zu verhindern.
Andere Beobachter wiederum raten zur stillen Diplomatie. Im November soll nämlich in Nairobi eine neue Regierungskonferenz abgehalten werden. Es wäre ein riesiger Erfolg, sollten sich weitere Länder anschließen. China habe schon positive Signale ausgesandt, sagt Jody Williams. Doch sicher sei da noch nichts. Eines ist es aber: Wolfgang Petritsch, ehemaliger Hoher Repräsentant der internationalen Gemeinschaft in Bosnien und Herzegowina, wird im Namen der österreichischen Präsidentschaft den Vorsitz bei der Konferenz in Nairobi übernehmen. Das ist sicher ein Erfolg für die österreichische Diplomatie.