: Tiefenrausch mit Risiko
Tief unten Mördermuscheln und Muränen beobachten: An den Ferienstränden ist Tauchen ein Sportevent, der nicht immer unter ausreichend qualifizierter Anleitung stattfindet. Einige Hinweise für den Schnelldurchgang beim Tauchenlernen
von ANGELIKA TANNHOF
Schillernd bunt leuchten Fischschwärme zwischen den weichen Korallen am kleinen Riff der Badebucht. Zu verlockend, hier nicht nur zu schnorcheln, sondern tiefer unten Mördermuscheln und Muränen zu beobachten. Wer noch keinen Tauchschein hat, kann ihn im Urlaub machen, in nur einer Woche. Ausbildung und Betreuung in kommerziellen Tauchschulen sind allerdings oft nachlässig.
Stefan in Kenia – nach nur einer Übungsstunde im flachen Pool sollen die Ferientauchschüler gleich auf zehn Meter Tiefe ins offene Meer. Beim Abtauchen reißt dem 30-Jährigen das Trommelfell. Norbert auf den Malediven – Übungen im Pool gab es nicht, und schon beim zweiten Tauchgang ging eine Gruppe Anfänger mit nur einem Begleiter auf 20 Meter runter und sah zu, wie der Haie anfütterte. Roland machte seinen Schein, ohne zu wissen, dass er einen Lungenschaden hat. Keiner wurde misstrauisch, als er bei den Tauchgängen viel mehr Blei brauchte, als bei seiner Körpergröße üblich. „Trotzdem trieb ich unter Wasser noch umher wie ein prall gefüllter Luftballon.“
Gefährlich sind auch Ausbildungsmängel. Stefan hatte den Druckausgleich nicht richtig geübt. Aber das ist lebenswichtig für Taucher, weil das Trommelfell langsam an den hohen Druck unter Wasser gewöhnt werden muss. Glück für ihn, dass „nur“ das Trommelfell gerissen ist. Die so genannte Taucherkrankheit kann bis zur Bewusstlosigkeit und zum Tod durch Embolien führen. „Hier sind sie innerhalb einer Viertelstunde auf der Intensivstation. Aber da unten weiß man nicht, wie gut Notfälle vorbereitet sind“, sagt der Lungenspezialist und Tauchmediziner Norbert Mülleneisen.
Den begeisterten Taucher Roland hat er sofort an Land verbannt – für immer. „Er hätte gar keine Tauglichkeitsbescheinigung bekommen dürfen“, sagt der Arzt. Seitenlang ist der Untersuchungsbogen, der vor ihm auf dem Schreibtisch liegt.
Auf keinen Fall grünes Licht gibt Mülleneisen Patienten mit schwerem Asthma, schlecht eingestelltem Bluthochdruck oder einem Herzschrittmacher. „Unter Wasser ist der Druck auf den Körper je zehn Meter zwei Bar, das ist so viel wie in Autoreifen.“
Tauchen sollte auch nicht, wer bestimmte Medikamente nimmt – Blutverdünner, Schlafmittel oder Psychopharmaka. „Unter dem Wasserdruck sind die Substanzen besser löslich im Blut und landen schnell im Gehirn. Das beeinflusst Wahrnehmung und Reaktion.“ Wer abends kräftig gezecht hat, soll aus dem gleichen Grund tags darauf nicht ins Wasser.
Gefährlich sind für den Taucher auch Austrocknung und Unterkühlung. Mülleneisens Rat: Trinken vor und nach dem Tauchen, weil man währenddessen sehr viel Flüssigkeit verliert. Und wer friert, sollte sofort raus aus dem Wasser.
Norbert hat den Crashkurs unter Haien unbeschadet überstanden. Glück gehabt. Nur ein Lehrer ging mit einer ganzen Gruppe Anfänger auf 20 Meter Tiefe. Undenkbar für Udo Wendlandt, erfahrener Taucher und Tauchlehrer der DLRG: „Die Regel bei Anfängern ist: 1 Lehrer/1 Schüler. Eine große Gruppe habe ich nicht im Blick.“ Und dann könne es zum Beispiel passieren, dass jemand in Panik gerät, nicht richtig atmet, schnell an die Oberfläche schießt, ohne Druckausgleich. Die Lunge platzt. Aus. Da kommt auch die Behandlung in einer Überdruckkammer zu spät.
Wendlandt trainiert mit seinen Schülern zuerst im flachen Becken das Atmen mit dem Mundstück. Der nächste Schritt sind Übungen im tiefen Pool. „Sie lernen, wie man Wasser aus der Maske entfernt und das Mundstück ausbläst, ohne dabei in Panik zu geraten.“ Langsames Abtauchen mit Druckausgleich. Auftauchen mit so genannten Sicherheitspausen. So wird die Lunge langsam wieder an den nachlassenden Druck gewöhnt. Gleichgewicht halten, Flaschengurt ab – und wieder anlegen. Das gehört zum Grundprogramm. „Im tieferen Wasser des Sprungbeckens kann man auch schwierige Situationen trainieren – wie zum Beispiel Angstkontrolle, Verlust oder Defekt der Flasche und Atmen zu zweit aus einem Gerät. Bevor bestimmte Sachen nicht sitzen, gehe ich nicht runter mit dem Schüler.“
Die meisten Unfälle, erzählt Wendlandt, passierten durch Flüchtigkeitsfehler und aus Selbstüberschätzung. „Ein guter Taucher ist ruhig und besonnen. Er schätzt sich realistisch ein. Er taucht niemals allein und macht nicht noch einen vierten Tauchgang am gleichen Tag. Er geht nicht runter, wenn er sich nicht wohl fühlt. Er verträgt Kritik und entwickelt seine Fähigkeiten weiter, statt zu glauben, schon alles zu können.“
Norbert Mülleneisen, der Mediziner, und Udo Wendlandt, der Tauchlehrer, halten nicht sehr viel von Schnellkursen. Ihr Rat: Lieber schon vor dem Urlaub das Tauchen in Deutschland richtig lernen. Denn für einen Anfänger ist das Angebot im Urlaubsland schwer einzuschätzen. „Klar macht es nicht so viel Spaß, im Schwimmbad und im Baggersee zu tauchen. Aber erstens ist Zeit fürs Üben, und der Stoff wird besser verinnerlicht. Und zweitens kostet die Ausbildung nur einen Bruchteil des Urlaubskurses.“
Wer trotzdem in den Ferien tauchen lernen will, sollte sich von einem Tauchmediziner gründlich untersuchen lassen. Sich bei Tauchlehrern erkundigen, worauf es in der Ausbildung ankommt. Bei anerkannten Tauchorganisationen fragen, ob sie im Urlaubsland Tauchstationen unterhalten, Informationen über die Tauchstationen vor Ort sammeln. Wichtig sind die Ausrüstung, die Zahl der Tauchlehrer und deren Qualifikation. Und wer kein Englisch kann, sollte sich einen Tauchlehrer suchen, der Deutsch spricht.