Schulen mit Zeitzeugen

Ein Wuppertaler Schulprojekt hat mit Hilfe der Alten Synagoge Unterrichtsmaterialien zur Rolle der Polizei im Nationalsozialismus erstellt

Themen, die für die Schüler zeitlich immer weiter weg rücken, gewinnen durch den lokalen Bezug an Nähe.“

VON NATALIE WIESMANN

„Wessen Freund und wessen Helfer“ war eigentlich die Wuppertaler Polizei im Nationalsozialismus? Mit dieser Frage beschäftigten sich der Geschichts-Leistungskurs des Wuppertaler Gymnasiums Siegesstraße ein Jahr lang. Unter wissenschaftlicher Betreuung der Begegnungsstätte Alte Synagoge Wuppertal hat der Kurs daraus Unterrichtsmaterialien für die Oberstufe erstellt. Trägerin des Projekts ist die „Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz“.

„Der lokale Bezug ist sehr wichtig“, so Michael Oktroy, der das Projekt wissenschaftlich begleitet hat. „Themen, die für die heutigen Schüler zeitlich immer weiter weg rücken, gewinnen dadurch wieder an Nähe.“ Ein Themenblock befasst sich mit dem Wuppertaler Bialystok-Prozess von 1967/68. 14 ehemalige Angehörige der Polizeibataillons 309/Ordnungspolizei, die sich am tausendfachen Mord an Juden in polnischen Ort „Bialystok“ beteiligt hatten, kamen damals vor Gericht. Die Schüler erhielten die Gelegenheit mit dem Richter des Wuppertaler Nazi-Prozesses zu reden, erzählt Oktroy. „Die Gespräche mit Zeitzeugen haben die Jugendlichen sehr beeindruckt.“ Auch ein Ermittlungsbeamter, der für die Anklageschrift mitverantwortlich war, stand den Schülern Rede und Antwort.

Das Unterrichtsmaterial beschäftigt sich auch mit der von der Polizei unterstützten Deportation von Wuppertaler Sinti und Roma in Konzentrationslager und die Rettung einzelner von ihnen. Am Beispiel zweier ehemaliger Wuppertaler Polizeibeamten, Paul Kreber und Rolf-Joachim Buchs, erhielten die SchülerInnen mögliche Antworten auf die immer wieder aufgeworfene Frage „Wie hätte ich mich damals verhalten?“ Paul Kleber rettete Sinti und Roma, indem er Informationen über geplante Polizeirazzien an sie weitergab. Als 1943 die Deportation der Sinti und Roma bevorstand, strich der Kripo-Assistent Namen von der Verhaftungsliste und ließ Anweisungen bezüglich der Verfolgten unbearbeitet liegen. Rolf-Joachim Buchs nutzte seine Machtfunktion als Polizeibeamter in dieser Zeit für andere Zwecke: Bei Beginn des Überfalls auf die Sowjetunion führte er die dritte Kompanie des besagten Wuppertaler Polizeibataillons, das im Juni 1941 über 1.000 Juden in Bialystok ermordete.

Unter den Unterrichtsmaterialien befindet sich auch ein Zeitungsartikel aus der Zeit des Bialystok-Prozesses und das Dankesschreiben des geretteten Sinti Paul Weiß, auf dessen Initiative Paul Kreber 1988 das Bundesverdienstkreuz erhielt.

„Das Projekt hat allen viel Spaß gemacht“, sagt Ulrike Hoffmann-Verwohlt, die als Geschichtslehrerin das Projekt durchgeführt hat. Sie hofft auf reges Interesse bei Kollegen anderer Schulen für das anschauliche Unterrichtsmaterial. Doch dabei ist sie ziemlich pessimistisch: „Durch Zentralabitur und die Verkürzung des Abiturs auf 12 Jahre gibt es im Lehrplan keinen Platz für solche Projekte.“ Gerade die Ausflüge ins Stadtarchiv und die Gespräche mit Experten seien nun mal zeitaufwändig.

Das Wuppertaler Schulprojekt hat auch außerhalb der Schule viel Echo hervorgerufen. Es wurde begleitet von Beschimpfungen, die teilweise auch den Materialien beiliegen. Und es haben sich Zeitzeugen gemeldet, die sich als Interviewpartner für Schüler zur Verfügung stellen wollen.

Unterrichtsmaterialien gibt es beim Herausgeber: Wuppertaler Initiative für Demokratie und Toleranz, 0202/5632759