: „Wenig Konzeptionelles erkennbar“
Die Koalitionsvereinbarungen haben alle wirklichen Entscheidungen bis ins Jahr 2005 aufgeschoben, sagt der IUB-Parteienforscher Paul Nolte. Bei der SPD vermisst er klare Vorstellungen, in der Sozialpolitik sieht er eine „Leerstelle“
taz ■ Der 111 Seiten dicke Koalitionsvertrag steht, CDU und SPD haben ihre Senatoren nominiert. Was die Regierungsvereinbarung für Bremen bringt, fragten wir Paul Nolte. Der Parteienforscher hat einen Lehrstuhl für Neuere Geschichte an der IUB inne.
taz: Der SPD-Wahlsieg scheint sich in der Koalitionsvereinbarung nicht wider zu spiegeln – oder?
Paul Nolte: Die CDU sieht gemessen an ihrem Wahlergebnis erstaunlich gut aus. Das ist aber wohl weniger ein Problem der Nachgiebigkeit als ein Problem der Klarheit der eigenen Vorstellungen bei der SPD gewesen. Alles scheint aufgeschoben bis ins Jahr 2005, wenn die Karten neu gemischt werden. Finanzpolitisch, weil dann die Frage der Bundeszuweisungen neu geklärt werden muss, personalpolitisch, weil dann der Bürgermeister möglicherweise abtritt. Die Schwäche bei der SPD lag sicherlich auch an der Unsicherheit der personellen Konstellation: Wer kommt nach Scherf?
Viele SPD-Vorstellungen waren doch sonnenklar – Beispiel Hollerland. Hat sich die SPD über den Tisch ziehen lassen?
Das ist ein Paradebeispiel für einen schlechten Kompromiss. Die SPD hat gesagt, die Fläche wird gar nicht bebaut, die CDU, sie wird ganz bebaut. Und weil die CDU etwa ein Drittel der Stimmen hat, wird ein Drittel des Hollerlands bebaut. Dabei markiert die Lösung eine fundamentale Einbruchstelle in dieses Gebiet. Die CDU hätte sich einen Ruck geben sollen, sich nicht nur als Wirtschafts- und Flächenentwicklungspartei zu profilieren.
Wie sehen Sie die Vereinbarungen in der Bildungspolitik?
Da ist ein ganz merkwürdiger Kompromiss herausgekommen, der nur nach dem Prinzip gestrickt ist, dass die Forderungen aller erfüllt werden. Aber: Wie er funktionieren soll, ist mir nicht klar.
Warum?
Es gibt Präferenzen für das Gymnasium und für die Gesamtschule, es gibt die vier- und die sechsjährige Grundschule. Die Probleme dürften in der Umsetzung deutlich werden. Die CDU hofft indessen, das System wird eine Eigendynamik in Richtung vier Jahre plus Gymnasium entfalten, die SPD erwartet den flächendeckenden Erfolg der sechsjährigen Grundschule. Das Bemühen um einen echten Kompromiss und um eine klare Lösung wäre besser gewesen.
Auch im Bereich Soziales vermissen viele eine sozialdemokratische Handschrift.
Da ist wenig Konzeptionelles erkennbar. Die Kürzungen folgen allein finanzpolitischen Zwängen – das kann man überhaupt nicht als Sozialpolitik im eigentlichen Sinne bezeichnen. Hier ist eine Leerstelle markiert.
Was hätten die Koalitionäre denn tun sollen?
Die Handlungsspielräume sind natürlich begrenzt. Man hätte jedoch zumindest einen bewußten Anlauf machen können, um bestimmte soziale Brennpunkte ins Blickfeld zu bringen – sei es in Tenever oder in Bremerhaven.
Hat sich die SPD mit ihrem Finanzsenator Nußbaum das Problem zuschieben lassen, für die maroden Finanzen gerade stehen zu müssen?
Es kann auch ein Vorteil sein, eines dieser harten Ressorts wie Finanzen, Wirtschaft oder Inneres, die vorher alle bei der CDU gebündelt waren, zu besetzen.
War es eine gute Entscheidung, jemanden ohne Parteibuch in die Regierung zu holen?
Es ist doch begrüßenswert, wenn aus diesen klassischen Aufstiegsmechanismen einmal ausgebrochen wird. Allerdings kann so eine Wahl auch schief gehen – man denke nur an den Unternehmer Jost Stollmann, der 1998 Bundeswirtschaftsminister werden sollte.
War es gut, erneut auf den Wahlverlierer Hartmut Perschau als Senator zu setzen?
Für den Wahlverlust müssen sich auch noch andere in der CDU an die Nase fassen – beispielweise Landeschef Neumann. Es fragt sich jedoch, ob es richtig war, die Kultur auf die Wirtschaft draufzupacken. Es ist aber noch nicht absehbar, dass die Kultur den ökonomischen Imperativen geopfert wird.
Wo steht Bremen in vier Jahren?
Viele Entscheidungen sind nicht weiterführend. Mit dem Koalitionsvertrag ist ein Moratorium beschlossen worden. Man kann das Ergebnis so verstehen, dass da eine pragmatische Grundlage geschaffen worden ist – ohne allzuviel zu klären. Und ohne wirklich neue Leuchtturmprojekte: Es gibt keine Pläne für eine neue IUB, keine Pläne für einen neuen Space Park oder ein anderes symbolisches Projekt. Der Blick auf das Jahr 2007 scheint mir in Bremen gebrochen durch das Jahr 2005.
Fragen: Kai Schöneberg