: Die Logik des Krieges
Die Genfer Konventionen können die Misshandlung von Gefangenen nicht verhindern. Nur wenn keine Kriege geführt werden, lassen sich Vorfälle wie im Irak vermeiden
Die Entschuldigungsversuche der Täter sind erbärmlich. Sie klagen, ihre Vorgesetzten hätten sie „nicht ausreichend auf die schwierigen Aufgaben im Irak vorbereitet“, sie „nicht ausgebildet für den Umgang mit Gefangenen“ und sie „nicht über die Genfer Konventionen unterrichtet“.
All diese Vorwürfe sind durchaus berechtigt. Die Ausbildung von US-Soldaten weist eklatante Defizite auf, gerade hinsichtlich ihrer Verpflichtungen aus dem humanitären Völkerrecht. Das haben selbst hochrangige Insider aus den Streitkräften immer wieder kritisiert – und zwar schon lange vor dem jüngsten Irakkrieg.
Im aktuellen Fall wird dieses Problem noch dadurch verschärft, dass die Bewachung von Kriegsgefangenen und andere Aufgaben an private Sicherheitsfirmen oder Söldnerunternehmen delegiert wurden. Sie stehen nämlich nicht unter direkter Kontrolle der US-Streitkräfte – zumindest nach Darstellung der Regierung Bush. Daher unterliegen sie nicht der amerikanischen Militärgesetzgebung und können angeblich strafrechtlich nicht belangt werden.
Dennoch: Muss ein 25-Jähriger, egal ob regulärer US-Soldat oder Mitarbeiter einer privaten Sicherheitsfirma, tatächlich erst die Genfer Konventionen lesen, um zu wissen, dass Elektroschocks, Scheinhinrichtungen oder die Nötigung zum Oralsex keine angemessenen Mittel zur Behandlung von Gefangenen sind? Muss nicht jeder wissen, dass dieses unmenschliche Verhalten strafbar ist?
Mindestens so erbärmlich wie die Entschuldigungsversuche der unmittelbaren TäterInnen ist das Verhalten ihrer militärischen Vorgesetzten und der politisch für den Skandal Verantwortlichen in der Regierung Bush. Ihre anfänglichen Bemühungen, den Skandal zu vertuschen, sind zum Glück gescheitert – gerade auch dank der investigativen Arbeit von Seymour Hersh und anderen US-amerikanischen Journalisten. Den Vertuschungsmanövern folgte nach der Veröffentlichung der ersten Bilder in den Medien die Behauptung vom „absoluten Einzelfall“ (US-Präsident George Bush), der in „völligem Widerspruch zum Charakter und den Traditionen“ der ansonsten „untadeligen“ US-Streitkräfte stehe. Eine hartnäckige Legende, die vor der Geschichte (etwa My Lai/Vietnam 1967, Zweiter Golfkrieg 1991) nicht besteht und von den inzwischen bekannt gewordenen Tatsachen im Irak 2003/04 erneut widerlegt wurde.
Doch wer den aktuellen Skandal lediglich nutzt als Munition für Kritik an den USA oder ihrer Regierung, macht es sich zu einfach und verkennt die Dimension des Problems. Folter, entwürdigende Behandlung von Gefangenen und andere schwere Verstöße gegen die 1949 beschlossenen Genfer Konventionen gibt es in fast allen Kriegen. Die Interventionen der USA in Vietnam, Frankreichs in Algerien, der Sowjetunion in Afghanistan und Russlands in Tschetschenien sowie die bislang drei Golfkriege liefern nur die eklatantesten Beispiele für derartige Verstöße. Das liegt unter anderem daran, dass gerade diese Kriege zumindest zeitweise unter intensiver Beobachtung der internationalen Medien standen.
Aber selbst aus diesen Kriegen sind längst nicht alle Verstöße bekannt geworden. Berücksichtigt man zudem die Kriege, die ganz oder weitgehend unter Ausschluss der Weltöffentlichkeit stattgefunden haben oder derzeit stattfinden, ist davon auszugehen, dass wir nur einen Bruchteil der Wahrheit kennen. Auch Soldaten, die nicht an völkerrechtswidrigen Angriffs-, Vernichtungs- oder Besatzungskriegen teilnahmen, sondern an UN-Missionen zur Erhaltung oder Durchsetzung des Friedens, haben mehr oder minder schwere Verstöße gegen die Genfer Konventionen begangen. Zum Beispiel Kanadier, Italiener, Belgier, Franzosen oder Deutsche in Bosnien und Herzegowina. Gleiches gilt für UN-Missionen in Somalia und anderen afrikanischen Ländern.
Das Problem: Kriege und militärische Einsätze haben grundsätzlich eine dehumanisierende Wirkung auf alle Beteiligten. Folter und die entwürdigende Behandlung von Gefangenen und auch Zivilisten sind untrennbar mit Kriegen verbunden. Im Irak hat US-Präsident Bush die Dehumanisierung der von ihm entsandten Soldaten noch dadurch befördert, dass er sie als Kämpfer für das „Gute“ im Krieg gegen die „Bösen“ adelte. Hinzu kommt: Warum sollten die US-GIs oder die Beschäftigten vom Pentagon beauftragter privater Sicherheitsdienste im Irak den Genfer Konventionen besondere Beachtung schenken? Schließlich missachtet die Regierung Bush selbst diese völkerrechtliche Verpflichtung bei den Gefangenen auf der Militärbasis Guantánamo ganz offen.
Der Druck auf die US-Soldaten und das private Sicherheitspersonal verschärfte sich in den Gefängnissen, die von der Besatzungsmacht betrieben werden, jedoch noch aus einem weiteren Grund: In vielen Fällen wurden sie „umfunktioniert zu Fabriken für Geheimdiensterkenntnisse, die durch Verhöre produziert werden sollen“ (Seymour Hersh, www.newyorker.com/fact/content/?040510fa_fact).
Gegen diese Dehumanisierung der an einem Krieg und der nachfolgenden Besatzung Beteiligten bietet das humanitäre Völkerrecht keinen verlässlichen Schutz – und zwar weder in Form der Genfer Konventionen noch in anderen Bestimmungen. Die Appelle des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz (IKRK), diese Bestimmungen doch bitte einzuhalten, wirken auch dieses Mal wieder seltsam hilflos.
Wie wenig das humanitäre Völkerrecht vermag, die Dehumanisierung von Kriegsbeteiligten zu verhindern, wie gering seine abschreckende Wirkung ist, zeigt ja vor allem eine Tatsache: Fast sämtliche Verstöße, die seit dem Ende des Kalten Krieges Schlagzeilen gemacht haben, wurden durch Fotos oder Videos bekannt und beweiskräftig belegt, die die Täter selber gemacht hatten. Offensichtlich ohne jedes Schuldbewusstsein und offensichtlich ohne jede Sorge, sie könnten eines Tages durch diese Bilder überführt und zur Verantwortung gezogen werden. Besonders deutlich wird dies bei Bildern, auf denen die Täter – wie bei einigen aktuellen Fotos aus dem Irak – auch noch in geradezu triumphierender Weise neben ihren gedemütigten Opfern posieren.
Dass die Täter belangt werden, ist trotz aller entsprechenden Zusagen der Regierung Bush noch nicht garantiert. Der Druck ist allerdings größer als jemals zuvor in der modernen Kriegsgeschichte – dank der raschen und weltweiten Verbreitung der Bilder durch Fernsehen und Internet. Ob damit allerdings auch eine abschreckende Wirkung mit Blick auf das Verhalten der Beteiligten an künftigen Kriegen und Besatzungen entsteht, ist angesichts aller bisherigen Erfahrungen leider höchst unwahrscheinlich. Kein noch so hoch entwickeltes humanitäres Völkerrecht, sondern nur die Verhinderung von Kriegen bietet eine Gewähr, dass Folter und die entwürdigende Behandlung von Gefangenen künftig nicht mehr stattfinden.
ANDREAS ZUMACH