: Das letzte Auto ist gefaltet
Die Hochzeit von Chassis und Triebwerk feiern: In „Auto“ von Gesine Danckwart verwandelt sich das Hebbel-Theater in eine Fabrikationsstrecke. Mit großer Liebe zum Detail wird gewerkelt
VON JÖRG SUNDERMEIER
Das Stück – man sollte vielleicht besser sagen: der Abend – trägt den Titel „Auto“. Sehr schlicht. In diesen Krisenzeiten, in denen Autobauer direkt auf Bankdirektoren im Ruf nach staatlichen Zuwendungen folgen und vor wenigen Jahren teuer hochgezogene Kultstätten rund um das Automobil, die „Autostädte“ und „Showrooms“, plötzlich so überflüssig wirken, ist der Titel dennoch nicht neutral. Man erwartet Reibung, Anklage, Hohn.
Doch fast scheint es, als führe uns Gesine Danckwart, die die Texte schrieb und die Choreografie des Abends im Hebbel am Ufer steuerte, in eine versunkene Welt. Ihre Kritik ist unlaut, doch nicht leise. Das altehrwürdige Hebbel-Theater selbst hat sie zur Autostadt umgebaut. Der Kassenraum ist ein „Welcomedesk“, ein Garderobenraum bietet Merchandise. Zunächst wird man in den Saal auf die Plätze vor dem Showroom gebeten. Es treten auf: Caroline Peters, Mariel Jana Supka und Arnd Klawitter, in verschiedenen Rollen. Mal sind sie selbst „Auto“, mal wollen sie eines, aber „so’n Erwachsenes“, nicht mehr den „Zweitwagenscheiß“. Sie zeigen, auch mit Hilfe von Videoeinspielungen, wie sehr wir mit diesem Fortbewegungsmittel verwachsen sind, wie sehr wir es hegen und pflegen, als sei es ein Tier. Und führen zugleich vor, wie sehr uns das Auto bestimmt.
Dann verlassen die drei die Bühne und teilen das Publikum ein. Es gibt zwei Führungen und einen Fertigungsraum, abwechselnd ist das Publikum hier oder dort, das ganze Hebbel-Theater ist zur Fabrikationsanlage geworden, zum Tempel des Autos. Die Schauspieler erklären „die Anlage“ und zeigen uns die Räume des Theaters als Sensation, „beachten Sie diese langen Gänge“, heißt es. Die Stresemannstraße wird als „Teststrecke“ vorgestellt. Im Fertigungsraum trifft man auf zwei Handwerker, die ein Pappauto in Realgröße zusammenfalten, kommentiert von Andreas Kessler, einst selbst Bühnenarbeiter im Hebbel-Theater, nun stadtbekannt als der „Autopapst“ von Radio Eins. Wir feiern „Hochzeit“, die Verschmelzung von Chassis und Triebwerk des Wagens.
Peters, Supka und Klawitter benutzen währenddessen das ganze postfordistische Propagandawerkzeug, versuchen durch Geschichtsklitterung („Tempel des Autos“) und Strenge („Da dürfen sie nicht stehen!“), eine Atmosphäre zu schaffen, wie sie in „Autostädten“ tatsächlich vorherrscht. Und man kann sich so sehr begeistern für ihre Liebe zum Detail und zum Spiel, dass man die etwas zu oft eingestreuten Parallelisierungen zwischen Theaterbetrieb und Autobau gern übergeht. Zum Ende des Stückes finden wir uns auf der Hinterbühne wieder, das letzte Auto ist gefaltet, jetzt wird es zerstört, mit Aufklebern und Bemalung, und schließlich zerstört es seine Besitzer, sei es durch den Unfall, sei es durch die selbstzerstörerische Lust am Immerweiterfahrenwollen.
Dieser abschließende zweite schauspielerische Part ist nach der vorhergehenden Spielerei etwas anstrengend, und Danckwart lässt ihrem Darstellertrio zu viel Raum, um sich auszuagieren. Dennoch ist der Abend beeindruckend. Danckwart spielt das Thema Auto in Produktion und Gebrauch tiefschürfend aus und vermeidet es, die Autonutzer oder die Zuschauer als Opfer der Autolobby zu präsentieren. Im Gegenteil, an diesem Abend wird man aufgefordert, aktiv am Mythos vom selbstbeweglichen Fahrzeug mitzubauen, das mehr ist als nur Transportmittel oder Maschine. Es ist nämlich „Auto, nicht Bus“, wie es schon zu Beginn des Abends heißt.
HAU 1, täglich 19.30 Uhr bis zum 12. Januar