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Archiv-Artikel

Kalte Küche für Gerüchtemacher

Aussitzen bis zur Steuerschätzung heißt weiter die Devise bei allen Meldungen über das Haus Eichel

„Alles in allem: Stimmung gut – außerdem haben wir Spargel gegessen“Es bleibt die Frage, wie aus einer kleinen Runde etwas nach außen dringen kann

BERLIN taz ■ Wie geht es denn nun der Koalition? „Alles in allem: Stimmung gut“, versicherte SPD-Chef Franz Müntefering gestern nach der Koalitionsrunde im Kanzleramt. „Außerdem haben wir Spargel gegessen.“ Trotzdem wirkte der Sozialdemokrat eher genervt. Und er sagt auch selbst, warum: Die Öffentlichkeitsarbeit der Regierung habe „nicht das Optimum erreicht“. So kann man es auch formulieren.

Seit Tagen spekuliert die Presse wild über die künftige Haushaltspolitik der Regierung. Schließlich drohen erhebliche Mindereinnahmen im zweistelligen Milliardenbereich. Wie viel genau, wird die Steuerschätzung am kommenden Donnerstag zeigen. Ein erheblicher politischer Druck lastet also auf der Koalition, schließlich wird es mit jeder Sparmaßnahme schwieriger, noch ein wenig mehr zu sparen. Das sei wie mit einer „ausgequetschten Zitrone, die man dann noch eine Drehung weiter in der Zitronenpresse drehen wolle“, heißt es aus dem Finanzministerium.

Und so wurden Fischers Äußerungen von vergangenem Sonntag – „Nur sparen, streichen, kürzen bringt uns nicht das notwendige Wachstum“ – als Bestätigung für die Berichte gewertet, wonach die Regierung über eine höhere Verschuldung nachdenke. Erst am Montag kam das Dementi, gestern hieß es in einigen Medien, Eichel plane die Mehrwertsteuer zu erhöhen. Zwischendurch erwog Wirtschaftsminister Wolfgang Clement die Abschaffung des Steuerfreibetrages. Ein einziges Chaos.

Doch zwischen den Zeilen mokiert sich Müntefering auch über die Presse: Sie habe eine Mitschuld an dem schlechten Eindruck. So streut er auf der Pressekonferenz zweimal den Hinweis ein, sein Argument sei auch „einen Kommentar wert“. Schließlich weist er darauf hin, dass vor allem die Union immer wieder die Mehrwertsteuer ins Gespräch gebracht habe. „Einige haben das nicht mehr gewusst beim Schreiben.“

Tatsächlich dürften die Aufmacher von „Eichels Plan für höhere Steuern“ (Süddeutsche Zeitung) oder „Eichel schlägt Mehrwertsteuererhöhung vor“ (FTD) die Koalition diese Woche am meisten genervt haben. Demnach seien am Mittwoch im Kanzleramt zwischen Müntefering, Clement, Eichel und dem Kanzler Pläne besprochen worden, die Mehrwertsteuer von 16 auf 21 Prozent anzuheben, um den Haushalt zu sanieren.

Während diese beiden Zeitungen von „Eichels Plan“ reden, spricht das Handelsblatt lediglich von einem „Diskussionspapier“ aus dem Finanzministerium. Einig sind sich alle drei nur darin, dass der Kanzler solche Überlegungen „gestoppt“ habe. Alle drei berufen sich wie üblich auf Regierungskreise, also vertrauliche Quellen. Das Finanzministerium, der Regierungssprecher und auch die Parteichefs – alle dementieren.

Was also ist richtig? Dass Eichel plötzlich radikal die Mehrwertsteuer erhöhen will, ist zunächst unwahrscheinlich. Immerhin unterstellen gerade ihm immer mehr Beobachter, er sei amtsmüde, weil das Kabinett nicht mehr so eisern sparen wolle wie er selbst. Und nun eine satte Steuererhöhung, die beim Sparen alle Dämme brechen ließe? Hatte Eichel nicht stets betont, schon eine Diskussion über die Mehrwertsteuer schade der zarten Konjunktur?

Kurios aber ist auch, wie Müntefering gestern die Zeitungsberichte korrigierte. Man habe am Mittwochabend im Kanzleramt über die Gesamtlage gesprochen – „auch über das, was die Opposition wolle“. Allein deshalb sei das Wort „Mehrwertsteuererhöhung“ gefallen. Das freilich klingt auch nicht sehr plausibel.

So bleibt für die Koalition die Frage, wie aus einer kleinen vertraulichen Runde etwas nach außen dringen kann. Ist doch klar, dass jede auch nur theoretische Überlegung schnell hohe Wellen schlägt. Das fragen sich auch die politischen Verbündeten Eichels: Unter Finanzpolitikern in der Koalition ist bereits von „Mobbing“ die Rede.

Der ist um seinen Job derzeit ohnehin nicht zu beneiden. Vielleicht würden ihm die Dementis auch eher abgenommen, wäre die Läge nicht so schwierig. Noch will sich niemand darüber äußern, wie das absehbare Milliardenloch gestopft werden soll. Man wolle erst die Steuerschätzung abwarten. Reinhard Bütikofer deutete gestern immerhin an, dass Rot-Grün an zusätzliche Privatisierungen denkt. Das, was eine Regierung immer macht, wenn ihr nichts mehr einfällt. Und so könnte es sein, dass den Gerüchten dieser Woche doch noch ein handfester Konflikt folgt. MATTHIAS URBACH