Die letzte Filmrolle wird abgekurbelt

Im Charlottenburger Kurbel läuft heute zum 701. Mal „Vom Winde verweht“. Dann muss das Traditionskino schließen. Nächstes Jahr wäre es 70 geworden. Doch die hohe Miete ist durch die wenigen Besucher nicht mehr zu finanzieren

Einst standen die Kinobesucher 500 Meter Schlange bis hinunter zum Ku’damm, um Scarlett O’Hara in „Vom Winde verweht“ die Treppe herunterstürzen zu sehen. Nun schließt die Kurbel endgültig zum 26. Juni ihre Pforten. Die Tage eines der letzten glamourösen Filmtheater in der City-West sind vorbei.

Vorausgegangen war die Insolvenz der UFA-Theater GmbH &Co. KG im Oktober. Von den deutschlandweit 33 UFA-Kinos übernahmen die Lübecker Kino-Tycoone Kieft & Kieft (CineStar) 31. Die Kurbel war nicht dabei. Marianne Riech, Betreiberin der Kurbel, hat bis zuletzt gekämpft. Alle Mietverhandlungen mit dem Hausverwalter blieben aber erfolglos. „Wir haben 19.000 Euro Miete plus Nebenkosten monatlich gezahlt“, sagt sie. „Das ging einfach nicht mehr.“ Zu den hohen Kosten kam der Zuschauerschwund. Teilweise saßen 32 Zuschauer im Kino, verteilt auf drei Säle mit über 600 Plätzen.

Auch der häufige Managementwechsel hat das Kino wohl an den Abgrund geführt. „Wahrscheinlich saßen die größten Betriebswirt-Nieten bei uns“, ärgert sich ein Mitarbeiter. „Da gab es doch nur noch Hickhack.“ Selbst die ausverkaufte montagliche Sneak-Preview half da nicht mehr. „Zum Besucherschwund kam die wirtschaftlich schwere Zeit“, klagt Ercan Geyik, der seit sieben Jahren in der Kurbel arbeitet. Überlange Abspielzeiten von bis zu drei Monaten hätten das Publikum enttäuscht. Hinzu kam die Konkurrenz am Potsdamer Platz.

Nächstes Jahr hätte die Kurbel ihr 70. Jubiläum gefeiert. 1934 entstand der legendäre rechteckige Saal, als der Eckladen an der Giesebrechtstraße 4 zum Kino umgebaut wurde. Später gelang es dem Unternehmer Walter Jonigkeit, mit seiner Kurbel zu den ersten beiden Kinos zu gehören, die nach dem Weltkrieg die Berliner vor die Leinwände strömen ließen. Kino war wichtig wie Brot. Man bezahlte seine Karten mit Zigaretten und brachte bei ausgefallener Heizung aufgewärmte Steine mit, um die Füße draufzulegen. Die Kurbel etablierte sich als feste Kinoadresse in Berlin. Schließlich kam „Vom Winde verweht“ und lief 700 Mal. In den Siebzigerjahren fungierte die Kurbel zeitweilig als Sexkino, bevor es 1974 zum Programmkino wurde und Filme in Originalversion zeigte.

Beim großen Umbau in den 90ern entstanden weitere zwei Säle mit 200 Sitzplätzen. Doch das große Nachrüsten der Technik blieb aus. Dann zeigte die Kurbel zum Erstaunen ihrer Anhänger erstmalig wieder deutsch synchronisierte Filme. Nach einer Flut von Protesten wurden nach wenigen Monaten wieder die Originalfassungen auf die Leinwand gestrahlt.

Selbst im Rathaus Charlottenburg ist man traurig über das endgültige Aus. Ist doch das Kinosterben in der City-West offensichtlich. Von 34 Kinos rund um den Ku’damm sind nur noch 14 erhalten.

Einmal noch werden die goldenen Zeiten für einen Filmabend in der Kurbel aufleben und die treuesten Anhänger in das Eckkino ziehen. Zum 701. und letzten Mal wird Scarlett O’Hara die Treppe herunterstürzen. Heute um 20 Uhr.

SEBASTIAN GALINDO