: Auf den Spuren der Aphrodite
Der Südwesten Zyperns bietet mehr als nur Badestrand und Bettenburgen: Archäologische Ausgrabungen lassen tief in die Geschichte blicken
VON KLAUS HILLENBRAND
„Nach den sich über viele Morgen Landes erstreckenden Schutthügeln zu urtheilen, muß diese Stadt eine Bevölkerung von 20.000 bis 25.000 Seelen gehabt haben. Die Veranstaltung von Ausgrabungen daselbst in einem zweckdienlichen Maßstabe würde meine Mittel weit überstiegen haben.“
Lois Palma di Cesnola, damals amerikanischer Konsul im zypriotischen Larnaka, hat sich Ende des 19. Jahrhunderts quer durch die Insel gegraben. Der größte Raubgräber der zypriotischen Geschichte, dessen Funde heute unter anderem das New Yorker Metropolitan Museum of Art schmücken, war bar jeglicher archäologischen Ausbildung. Er raffte – wie damals durchaus üblich – zusammen, was er bekommen konnte, egal ob aus phönizischen Gräbern oder griechischen Katakomben.
Doch vor den Überresten der Stadt Paphos musste er kapitulieren. Erst rund einhundert Jahre später ist es Altertumsforschern gelungen, die Schätze von Paphos zu heben. Nur wenige Meter von der Touristenmeile des Fischerhafens entfernt befindet sich der Eingang zum archäologischen Park der Stadt: Dahinter erstreckt sich ein riesiges, nahezu schattenloses Gelände voller vertrockneter Disteln und Gräser. Doch zwischen der Natur liegt die Geschichte mehrerer Jahrhunderte aufgeblättert.
Vieles mag für den Laien undurchsichtig sein, so wie die immer noch laufenden Grabungen an römischen Villen, von denen oft nur noch die Fußböden mit ihren ausgeklügelten Heizungen und einige Mauern erhalten sind. Da verlaufen die Mauern in scheinbar wilder Unregelmäßigkeit. Es bedarf schon eines gewissen Einfühlungsvermögens, um sich hier vorzustellen, wie die wohlhabenden Mitglieder der Oberschicht in den Wohnräumen dinierten, sich in Warmbädern erholten und die Sklaven in den Küchen zauberhafte Speisen kreierten.
Doch staunend steht auch der Tumbeste in den aus konservatorischen Gründen überdachten Gebäuden wie dem „Haus des Dionysos“: Feinste Mosaike aus dem 2. bis zum 4. Jahrhundert n. Chr. bedecken den Fußboden dieser Riesenvilla mit einstmals 2.000 Quadratmeter Wohnfläche samt einem eigenen Fischteich. Die griechische Götterwelt liegt dem Besucher, der auf hölzernen Galerien über den Bildern wandert, buchstäblich zu Füßen. Natürlich findet sich Dionysos, der Weingott; Ikarios ist mit einem Wagen voller Weinschläuche zu sehen. Poseidon trifft die schöne Amymone, und Eros schwebt zu ihnen herab. Narziss betrachtet sein Spiegelbild im Wasser.
Gleich drei dieser neuzeitlich überdachten Villen stehen zur Besichtigung frei, ihre Namen allerdings sind mangels historischer Quellen frei erfunden. Wer will, kann danach die Reste der Stadtmauer besichtigen oder die wenigen Meter zum Odeion hinüberlaufen und sich auf einer der Sitzreihen niederlassen – dort, wo einmal Platz für 3.000 Zuschauer war.
Wirklich ausgegraben ist das antike Paphos bis heute nicht. Allenthalben werden innerhalb des archäologischen Parks neue Entdeckungen gemacht. Und außerhalb, unter dem Parkplatz, wo die bildungshungrigen Touristen ihre Fahrzeuge abstellen, liegt der antike Hafen der Stadt verborgen. Niemand weiß, was dort noch wartet.
Wenige Kilometer weiter nordöstlich liegen die ältesten Hinterlassenschaften von Paphos: die sogenannten Königsgräber. Lois Palma di Cesnola, der Raubgräber des 19. Jahrhunderts, notierte: „Einige sind nur für einen Leichnam berechnet, während andere für zwanzig oder mehr ausreichen. Ich ließ den Schutt aus einem der größten entfernen und fand, dass es ein oblonger Bau war, mit einem Atrium, das durch drei roh aus dem Kalkstein gehauene, monolithische Säulen gestützt wurde, vor dem sich ein Vorhof befand.“
Für Cesnola waren die Grabkammern uninteressant, es fanden sich dort keine wertvollen Beigaben. Den Schutt haben zwischenzeitlich andere beiseite geräumt, auch wurden manche der Kammern, die sich als gewaltige Löcher in dem karstigen Felsgestein herausstellen, deutlich restauriert. Vor rund 2.300 Jahren waren die Gräber freilich überdacht, doch das Holz hat der Zeit natürlich nicht standgehalten. Könige waren in den „Königsgräbern“ nicht beigesetzt, hier ruhten die Vornehmen der griechischen Oberschicht.
Die Grabungsfunde von Paphos umfassen nur einen kleinen Teil der zerklüfteten Geschichte Zyperns – die Stadt ist verglichen mit anderen geradezu neu. Erst im 4. Jahrhundert v. Chr. ließ sie der König eines von etwa zehn Stadtkönigtümern, Nikokleus, anlegen. Wer, angesteckt vom archäologischen Fieber, tiefer in die Geschichte klettern möchte, muss sich gute 20 Kilometer weiter südlich entlang der Küste zum Dorf Kouklia begeben. Hier lag Alt-Paphos, die Vorgängerin der Stadt, mit ihrem Aphrodite-Heiligtum, das Menschen im ganzen Ostmittelmeerraum anzog.
Der Ort wurde schon vor 5.000 Jahren vom Menschen besiedelt. Die Fruchtbarkeitsgöttin wurde schon vor etwa 3.000 Jahren verehrt. Vor mehr als 2.000 Jahren war das heutige Dörfchen Kouklia – erbaut aus den Steinen des Heiligtums – eine Pilgerstätte, in der die Priester eine seltsam anmutende Art von Prostitution zelebrierten. Frauen mussten sich, einmal dort angelangt, jedem hingeben, der sie begehrte. Die Priester kassierten dafür von den Männern ab. Wer mehr wissen möchte, kann das alles bei Herodot nachlesen.
Als Aphrodite verehrt wurde anfangs offenbar nicht eine kunstvolle Statue, wie sie etwa die Römer schufen, sondern ein schlichter schwarzer Monolith. Im Museum von Kouklia, untergebracht in einer fränkischen Festung aus dem 15. Jahrhundert, ist der Stein neben vielen weiteren Grabungsfunden ausgestellt. Zu sehen ist dort auch ein großer steinerner Sarkophag, geschmückt mit homerischen Szenen. Da sind die Pferde Homers abgebildet, oder das Bild, in der die Gefolgsmänner Odysseus’, verborgen unter den Bäuchen von Schafen, dem Zyklopen entfliehen. Die Sensation: Die Farbe auf dem Sarg hat sich bis heute erhalten. Erst vor kurzem hat man das Stück nahe Kouklia entdeckt.
Draußen, vor dem Museum, erblickt der Besucher eine relativ ebene Fläche mit einigen dicken Mauern, wenigen Mosaiken, gewaltigen Steinplatten als Bodenbelag – viel mehr ist vom Aphrodite-Heiligtum nicht übrig geblieben. Doch so sehr angesichts der wenigen Überbleibsel die Fantasie gefragt ist: Das erscheint immer noch besser als eine von Flutlicht beleuchtete Rekonstruktion nebst Verkaufsbuden, in der die Kunststoff-Aphroditen auf Käufer warten. Anderswo gibt es das alles. Alt-Paphos ist still geblieben, zum Glück.
Auch Lois Palma di Cesnola hat hier gegraben, doch es scheint, als wäre er in Paphos und Umgebung vom Glück verlassen worden: „Ich beaufsichtigte 1869 mehrere Monate lang Ausgrabungen daselbst mit zwanzig Mann, ohne jedoch etwas von Wichtigkeit zu entdecken. Ich wiederholte den Versuch mit einer größeren Zahl von Arbeitern, aber mit keinem günstigeren Erfolg“, schreibt er.
Aphrodite hier, Aphrodite dort: Ein paar Kilometer südlich von Kouklia ragen einige schroffe Felsen ins Meer. Hier soll Aphrodite einst an Land gestiegen sein. Der Zeugungsakt war aufregend, jedoch wenig lustvoll: Kronos nämlich kastrierte seinen Vater Uranos mit einer Sichel. Aus der Verbindung des Penis mit dem Schaum des Mittelmeeres entstand Aphrodite – die Schaumgeborene.
Wiederum 40 Kilometer nördlich des neuzeitlichen Paphos liegt, dank der reichlichen Touristenströme längst nicht mehr versteckt, ein kleiner Süßwasserteich – gespeist von den darüber liegenden Quellen. Ständig tropft Wasser herab, Schlingpflanzen umgeben den dunklen Tümpel. Hier erblickte Akamas, der Sohn des Theseus, das Spiegelbild der badenden Aphrodite. Doch die Liebe wurde verraten, Aphrodite musste zu ihrem Göttergatten zurückkehren.
Sicher ist: Das Gebirge, das sich von den „Bädern der Aphrodite“ bis nach Paphos erstreckt, heißt Akamas. Nicht ganz so erwiesen dagegen: Wer von dem Wasser kostet, wird sich hoffnungslos verlieben.
Direkt neben den Resten des Aphrodite-Heiligtums von Alt-Paphos steht eine kleine griechisch-orthodoxe Kirche aus dem Mittelalter, Katholiki genannt. Im 4. Jahrhundert n. Chr. haben die Christen den Aphrodite-Kult verboten. Es hat nichts geholfen: Noch heute beten Frauen in dem Gotteshaus von Kouklia, wenn sich Kindersegen nicht einstellen mag.
Die Zitate von Lois di Cesnola stammen aus seinem Buch: „Cypern, seine alten Städte, Gräber und Tempel“, Jena 1879. Die Reise des Autors wurde unterstützt von der zypriotischen Zentrale für Fremdenverkehr.